Wenn ein Nebensatz mehr auslöst als ein ganzes Workshop-Tool
Der Workshop war eigentlich ganz gut gestartet. Die Teilnehmenden waren offen, die Themen schnell gesammelt. Auf einem der Moderationskärtchen stand in etwas krakeliger Handschrift: „Stress / Umgang / Ton“. Eine Formulierung, wie sie oft auftaucht, wenn ein Team merkt: Irgendwas ist schwierig – aber noch nicht greifbar genug, um es wirklich zu benennen.
Die ersten Gesprächsrunden blieben vage. Allgemeine Aussagen über hohe Belastung, unausgesprochene Erwartungen, die klassische Frage, wie „der Umgang miteinander“ verbessert werden könne. Nichts davon war falsch. Aber auch nichts davon war konkret genug, um wirklich etwas zu verändern.
Und dann fiel mitten in der Diskussion ein Satz:
„Ich hab den Eindruck, da fehlt noch was in der Haltung.“
Er kam ruhig, fast nebenbei – aber er traf einen Nerv. Plötzlich war der Raum still. Nicht angespannt, sondern aufmerksam. Es war spürbar: Das war ein Satz, der etwas auf den Punkt brachte, das viele im Raum bereits wahrgenommen hatten – aber bisher nicht benennen konnten. Der Ton. Der Umgang. Der Stress.
Beobachtung oder Interpretation? Der feine Unterschied mit großer Wirkung
Was dieser eine Satz sichtbar gemacht hat: Es ging nicht (nur) um Worte. Es ging um das, was mitschwingt: um den Unterton, die Haltung hinter dem Gesagten. Um das Gefühl, dass Aussagen nicht als neutrale Beobachtungen, sondern als Urteile oder unterschwellige Vorwürfe rüberkommen. Und dass dadurch keine echte Klärung entsteht, sondern eher neue Irritation.
Das war der Wendepunkt im Workshop. Von da an konnten wir genauer hinschauen: Was sagen wir – und was hören andere? Wie entstehen Missverständnisse, die niemand beabsichtigt hat, die aber trotzdem ihre Wirkung entfalten?
Ein zentrales Thema, das in diesem Moment greifbar wurde, ist der Unterschied zwischen Beobachtung und Interpretation. Ein Unterschied, der vielen Teams nicht bewusst ist, aber maßgeblich darüber entscheidet, ob Kommunikation klärend oder belastend wirkt.
Beobachtungen sind konkret, überprüfbar und an der Situation orientiert:
„Ich habe im letzten Meeting beobachtet, wie Susanne dreimal ihren Satz neu begonnen hat“ oder auch
”Ich habe im letzten Meeting beobachtet, wie Susanne dreimal unterbrochen wurde”.
Interpretationen hingegen sind Bewertungen, Zuschreibungen oder Deutungen – oft basierend auf eigenen Gefühlen oder Annahmen:
“Wir lassen einander nicht ausreden”
”Wir unterbrechen uns ständig”
”Wir hören uns nicht zu”
Was auf der einen Seite vielleicht als Feedback oder Beobachtung gemeint war, kommt auf der anderen Seite als Vorwurf an – und schon sind wir mitten in einer Dynamik, die nicht klärt, sondern blockiert.
Warum das so relevant ist
In Teams, die viel Wert auf Selbstorganisation und offene Kommunikation legen, ist die saubere Unterscheidung besonders wichtig. Denn je mehr Verantwortung ein Team trägt, desto mehr ist es darauf angewiesen, Themen direkt und konstruktiv anzusprechen, ohne dabei in Schuldzuweisungen oder verdeckte Machtspiele abzurutschen.
Interpretationen bergen immer das Risiko, dass sie ungewollt verletzend wirken oder Verteidigung auslösen. Beobachtungen hingegen schaffen eine gemeinsame Ausgangsbasis: Sie laden zur Reflexion ein, statt zur Rechtfertigung zu zwingen.
Im Workshop wurde schnell klar: Viele Spannungen, die das Team bisher als „schwierige Kommunikation“ beschrieben hatte, ließen sich letztlich auf genau diesen Unterschied zurückführen. Und damit auch konkret bearbeiten.
Was sich durch diese Erkenntnis verändert hat
Nachdem wir diesen Unterschied im Workshop sichtbar gemacht hatten, konnten wir gemeinsam an konkreten Situationen arbeiten. Die Teilnehmenden reflektierten ihre eigenen Aussagen und begannen, bewusst zwischen dem zu unterscheiden, was sie beobachten – und dem, was sie darüber denken.
Das war keine einfache Übung. Denn unsere Sprache ist oft voller Interpretationen, ohne dass wir es merken. Viele Aussagen sind schnell geäußert, wir haben ja auch nicht ständig Zeit jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Zu schnelle Interpretationen aber versperren den Weg zu echter Klärung. Sobald das Team begann, Aussagen bewusst auf Beobachtungen zurückzuführen, wurde die Kommunikation merklich klarer. Es entstanden Gespräche, in denen Nachfragen möglich waren, ohne dass sofort Abwehr entstand.
Praktische Impulse für die Arbeit im Team
Wenn du mit deinem Team an der Kommunikationskultur arbeiten willst, können diese Fragen ein guter Einstieg sein:
Was habe ich tatsächlich gesehen oder gehört – und was denke ich darüber?
Wie wirkt meine Aussage auf andere, wenn ich sie als Tatsache formuliere, obwohl sie meine Interpretation ist?
Wie kann ich meine Gedanken so formulieren, dass sie ein Gespräch eröffnen statt es zu blockieren?
Und ganz konkret: Übt im Team mal den Unterschied. Nehmt eine Situation und formuliert sie einmal als Beobachtung, einmal als Interpretation. Der Unterschied in der Wirkung ist oft enorm.
Klärung beginnt mit Klarheit
Der Satz „Ich hab den Eindruck, da fehlt noch was in der Haltung“ war der Auslöser für einen der wirksamsten Momente in diesem Workshop. Nicht, weil er eine Lösung angeboten hätte – sondern weil er das Unausgesprochene benannt hat.
Manchmal ist es genau das, was es braucht: den Mut, etwas zu sagen, das zwischen den Zeilen schwebt. Und die Bereitschaft, gemeinsam genauer hinzuschauen.
Denn echte Klärung beginnt nicht mit einer perfekten Kommunikationstechnik, sondern mit der Fähigkeit, zwischen Beobachtung und Interpretation zu unterscheiden.