Geplant war Prozess – geworden ist Beziehung

Es hätte einer dieser geordneten, produktiven Workshop-Tage werden können. Alles war vorbereitet: Moderationsmaterial, Agenda, Ziele geklärt. Ein Team aus zwölf Personen, die ihre Zusammenarbeit reflektieren wollten. Ich hatte den Raum sorgfältig gebaut – inhaltlich und atmosphärisch.

Und dann kam es anders.

Es war von Anfang an unruhig.

Der Workshop sollte ein „gemeinsamer Blick auf Zusammenarbeit“ sein. So stand es in der Einladung. Die Erwartung war klar: Prozesse verbessern, Abläufe klären, Zuständigkeiten sortieren.

Was mich erwartete: Ein Team aus zwei Abteilungen, die häufiger zusammenarbeiten, aber selten wirklich miteinander sprechen.

Ich hatte den Raum vorbereitet, wie immer: Stühle im Kreis, ein paar vorbereitete Flipcharts, keine PowerPoint, sondern viel Platz für das, was entsteht.

Kaum waren alle im Raum, ging es los – nicht laut, aber spürbar. Einige setzten sich demonstrativ ans Ende des Halbkreises. Zwei Kolleg*innen redeten ununterbrochen miteinander. Eine Person schaute von Anfang an nicht hoch. Ich begrüßte freundlich, versuchte, mit einer einfachen Einstiegsfrage Wärme reinzubringen. Die Antwort war: „Machen wir das jetzt jedes Mal?“

Es war kein Widerstand, der laut „Nein“ sagt. Es war dieses zähe, klebrige „Ich will hier nicht sein“. Diese Haltung, die jedes noch so gut gemeinte Format in Einzelteile zerlegt, wenn du nicht aufpasst.

Frau steht vor Workshopgruppe. Text: „Geplant war Prozess – geworden ist Beziehung.“ Thema: echte Beziehung statt Agenda.

Die Agenda war schnell nur noch Kulisse

Wir waren gerade bei der zweiten Übung – eine Reflexion zu Zuständigkeiten, Kommunikation, blinden Flecken –, als plötzlich zwei Kolleg*innen aufeinander losgingen. Nicht laut und natürlich nicht körperlich. Aber mit Worten, die wie Nadeln waren: „Du hast doch eh keine Ahnung, was wir wirklich brauchen.“ „Weil du ja auch immer alles besser weißt.“ „Kein Wunder, dass wir nichts fertig kriegen.“

Der Rest des Teams wurde stumm. Ich auch. Nicht, weil ich nicht wusste, was zu tun ist. Sondern weil ich erst mal hören musste, was hier gerade eigentlich wirklich passierte.

Was ich dann getan habe

Ich habe den Mut zusammengenommen, den man als Coach braucht, wenn’s wirklich ungemütlich wird und habe nicht geschlichtet. Ich habe nicht moderiert. Ich habe benannt.

„Ich sehe, dass hier gerade etwas aufbricht, was schon länger da ist. Ich sehe aber auch, dass acht andere Menschen jetzt schweigen, weil sie nicht wissen, was sie damit machen sollen. Und ich glaube, wenn wir jetzt einfach weitermachen, schieben wir das Thema weg und es wird sich nichts ändern.“

Dann habe ich den Raum geöffnet. Für ein paar Minuten waren wir nicht in einem Workshop, der Abläufe sortieren sollte, sondern in einem, in dem Beziehung geklärt wurde.

Danach war der Workshop ein anderer

Es war dann nicht leichter, aber echter. Wir haben keine der geplanten Übungen gemacht. Stattdessen haben wir Fragen gesammelt, die im Raum standen – laut oder leise:

– Wer spricht hier eigentlich für wen?
– Warum ist so viel Misstrauen da?
– Was brauchen wir, damit wir uns überhaupt wieder zuhören?

Wir haben ein einfaches Format genutzt: Statements im Stehen. „Ich stehe, wenn ich das auch so erlebe.“ Keine Diskussion. Nur Wahrnehmung. Und plötzlich stand fast das ganze Team, als es um das Gefühl ging, dass Entscheidungen woanders getroffen werden. Und niemand stand, als es um die Frage ging, ob man in dieser Konstellation offen über Konflikte sprechen kann.

Das war definitiv nicht der Workshop, den sie sich vorgestellt hatten. Aber dafür war es der, den sie gebraucht haben.

Was ich daraus mitgenommen habe

Ich hatte keinen Plan B in der Tasche. Aber ich hatte mich und mein Gespür für Dynamiken. Das war genug.

Was ich mir wieder einmal bewusst gemacht habe: Teamdynamik lässt sich nicht kontrollieren.
Man kann sie nicht einfach wegmoderieren – auch nicht mit der besten Übung oder einem tollen Regelset für Feedback. Manchmal muss man das vorbereitete Material beiseitelegen und einfach da sein.

Aber: Man kann eine Atmosphäre schaffen, in der das, was wirklich da ist, sichtbar werden darf. Man kann Worte anbieten, wenn anderen die Sprache fehlt. Man kann Spiegel sein, ohne zu bewerten.

Und das ist vielleicht das Wichtigste, was ein Workshop leisten kann:
Raum geben für das, was sonst weggedrückt wird.

Und was das mit agilem Coaching zu tun hat

Agil ist nicht, dass wir Post-its benutzen oder retrospektiv auf Prozesse schauen. Agil ist: dass wir bereit sind, das, was wir sehen, ernst zu nehmen – auch wenn’s unbequem ist.

Dass wir nicht an der Agenda festhalten, sondern der Realität zuhören. Dass wir iterativ reagieren, statt durchzuziehen, was auf dem Plan steht. Und dass wir verstehen: Reflexion braucht Sicherheit – aber nicht immer Harmonie.

Was bleibt

Ich weiß nicht, wie dieses Team heute arbeitet. Ich weiß aber, dass sie am Ende des Tages nicht mehr über To-dos gesprochen haben, sondern über Verantwortung. Nicht mehr über Prozesse, sondern über Beziehungen. Ich weiß, dass am Ende des Tages mehr Wärme und Verständnis da war als zu Beginn des Tages. Und das war mehr, als dieser Workshop ursprünglich „leisten“ sollte.

Und ich weiß auch, dass ich an diesem Tag wieder ein Stück mehr verstanden habe, was mein Job wirklich ist: Nicht durchzuboxen, was ich vorbereitet habe. Sondern zu begleiten, was sich zeigt. Und das ist manchmal chaotisch. Manchmal laut, manchmal leise und manchmal alles auf einmal.

Aber es ist immer echt und darum geht’s.

👉 Hier findest du unsere Ausbildungen
👉 Und hier unsere Einzelbegleitung für Teamentwickler*innen

Weiter
Weiter

Reflexionsmomente für Coaches & Teamentwickler*innen