Verantwortung sichtbar machen: Wie ein Team in kurzer Zeit Struktur gewann
Zwölf Menschen arbeiteten seit Monaten an einem gemeinsamen Produkt, verteilt auf mehrere Rollen, mit einer breiter werdenden Aufgabenlandschaft und dem wiederkehrenden Gefühl, dass bestimmte Entscheidungen zu lange offen blieben. Die Ursachen lagen weniger in Konflikten als in fehlender Klarheit. Verantwortung „im Team“ war ein geläufiger Satz geworden und gleichzeitig zunehmend unpräzise, was sich besonders dann bemerkbar machte, wenn operative Fragen länger hingen blieben oder Prioritäten unterschiedlich interpretiert wurden.
In dieser Situation zeigte sich schnell, dass es nicht ausreichen würde, Rollenbeschreibungen zu überarbeiten oder Verantwortliche zu benennen. Bevor über Zuständigkeiten gesprochen werden konnte, brauchte das Team ein gemeinsames Bild davon, welche Art von Arbeit überhaupt im Raum stand und wie sie ihren Weg durch das System nahm. Genau dieser Schritt wird in vielen Organisationen noch immer unterschätzt.
Die Arbeit sichtbar machen
Wir begannen damit, sämtliche Tätigkeiten, die das Team regelmäßig bewegt, auf Karten zu schreiben. Das klang nach einer simplen Übung und fühlte sich anfangs auch so an, doch die Wirkung war deutlich: Die Arbeitsrealität wurde greifbar. Sie löste sich aus Einzelgesprächen, Chatverläufen und implizitem Wissen und lag nun sichtbar vor allen. Viele Teams kennen diesen Effekt aus der Arbeit mit Kanban-Boards, bei denen Visualisierung erst erkennbar macht, wo Arbeit entsteht, wie viel parallel läuft und welche Bereiche stabil funktionieren. In unserem Fall nutzten wir dieselbe Logik – nicht, um ein Board zu bauen, sondern um Klarheit über Verantwortungsfelder zu ermöglichen.
Kanban-Perspektiven als Denkwerkzeug für Verantwortung
Anstatt in eine klassische RACI-Diskussion einzusteigen oder Rollenprofile zu schärfen, haben wir bewusst zwei Prinzipien aus dem Kanban-Kontext als Orientierung gewählt: die Begrenzung von Work in Progress und die Stabilisierung des Flusses. Übertragen auf Verantwortlichkeiten bedeutete das eine leichte, aber wirksame Verschiebung der Perspektive: Wir schauten weniger auf Personen und mehr auf den Weg der Arbeit.
Daraus entstanden drei Leitfragen, die das Gespräch klar strukturierten und gleichzeitig den Blick auf den Prozess lenkten:
Wo entsteht die Arbeit zuerst – also wer ist der natürliche Startpunkt im Prozess?
Wer sorgt dafür, dass sie weiterfließt und nicht liegen bleibt?
Wer entscheidet, wenn der Fluss ins Stocken gerät?
Diese Fragen halfen dabei, nicht nur einzelne Aufgaben präziser zu verstehen, sondern die Übergänge zwischen ihnen sichtbar zu machen. Viele Unklarheiten lagen nämlich nicht in der Erstzuständigkeit, sondern genau in diesen Übergabepunkten: ein Muster, das ich aus vielen Kanban-Analysen kenne, in denen Bottlenecks und Verzögerungen oft dort entstehen, wo die Verantwortungsgrenzen zu weich oder zu implizit sind.
Übergänge klären statt Rollen neu erfinden
Als das Team damit begann, die zuvor gesammelten Aufgaben entlang dieser Flussperspektive zu betrachten, wurden Verantwortlichkeiten schrittweise konkreter. Bereiche wie Qualitätssicherung, Kommunikation mit Stakeholdern oder technische Entscheidungen ließen sich besser einordnen, weil deutlich wurde, an welchem Punkt diese Arbeit jeweils ins System kommt und wer sie im weiteren Verlauf stabil hält. Aus der Sammlung heraus ergaben sich sieben Felder, die für die weitere Klärung entscheidend wurden: Produktentscheidungen, technische Standards, Kommunikation, Prozesspflege, Schnittstellen, Teamaufgaben und Onboarding.
Diese sieben Bereiche bildeten das Gerüst, an dem das Team anschließend die Verantwortlichen benannte – nicht als „Besitzer*innen“ dieser Aufgaben, sondern als Menschen, die dafür sorgen, dass der Arbeitsfluss in ihrem Bereich nicht ins Stocken gerät. Dieser Unterschied war für das Team spürbar, weil Verantwortung dadurch weniger als dauerhafte Zuschreibung verstanden wurde, sondern als aktive Rolle im Prozess.
Nach weniger als zwei Stunden lag ein Bild vor uns, das nicht neu erfunden, sondern sichtbar gemacht worden war. Es löste keine organisatorische Revolution aus, sondern gab dem Team eine Struktur zurück, die bereits im Alltag existierte, aber nie gemeinsam betrachtet worden war.
Ein Ergebnis, das auch im Alltag funktioniert
Am Ende entstand eine Struktur, die sofort nutzbar war. Kein neues Rollenmodell, kein zusätzlicher Prozess, sondern eine klarere Sicht auf das, was längst vorhanden war. Die Transparenz erleichterte viele operative Entscheidungen, weil schneller erkennbar wurde, wer den nächsten Schritt macht und wer informiert werden muss.
Für mich bleibt es ein gutes Beispiel dafür, wie pragmatisch agile Prinzipien – insbesondere aus Kanban – wirken können. Sie bieten kein Universalrezept, aber sie bieten Denkwerkzeuge, die Teams helfen, ihre eigene Arbeitsweise besser zu verstehen und zu verbessern. Nicht als Etikett, sondern als Haltung.
Wenn du solche Klärungsprozesse in deinem Team begleiten möchtest
Viele Teams wünschen sich genau diese Art von Klarheit – ohne zusätzliche Rollenmodelle, ohne umfangreiche Reorganisationen, sondern durch saubere Beobachtung, präzise Gespräche und die Fähigkeit, die eigene Arbeitsweise gemeinsam zu betrachten. Dafür braucht es oft weniger Methoden und mehr Orientierung, systemische Fragen und einen geschulten Blick für Dynamiken.
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