Wer auf Ruhe wartet, wartet meist vergeblich
In vielen Gesprächen mit Führungskräften und Teams taucht eine ähnliche Formulierung auf: “Darum kümmern wir uns, wenn es mal ruhiger ist.” Gemeint sind Themen wie Zusammenarbeit, Rollenklärung, Erwartungen, Spannungen oder die Frage, wie Entscheidungen eigentlich getroffen werden. All das wird als wichtig anerkannt, aber gleichzeitig an eine Zeit geknüpft, in der weniger los ist. Die Idee dahinter ist verständlich: Sie entspricht dem Wunsch, sich für solche Themen den nötigen Raum und die nötige Sorgfalt zu nehmen.
Das Problem ist nur: Dieser ruhige Moment kommt nicht. Und das unruhige Gefühl, das wir im Alltag erleben, ist kein Ausnahmezustand. Es ist der Normalzustand moderner Organisationen.
Der Wunsch nach Stabilität und das Missverständnis dahinter
Der Gedanke, man könne strukturelle oder zwischenmenschliche Themen „bei Gelegenheit“ klären, setzt voraus, dass es im Arbeitsalltag natürliche Pausen gibt, in denen alles leichter wird. Doch die Realität ist anders. Projekte laufen parallel, Prioritäten verschieben sich, Rollen verändern sich, Teams wachsen, schrumpfen oder sortieren sich neu. Kaum ist ein Thema gelöst, tauchen zwei neue auf.
Viele Menschen deuten diese Dynamik als Zeichen dafür, dass sie „zu viel auf dem Tisch haben“ oder „noch nicht gut genug organisiert“ sind. Dabei ist es kein Hinweis auf Defizite, sondern Ausdruck einer Arbeitswelt, die sich ständig bewegt. Wer auf Ruhe wartet, wartet auf etwas, das strukturell nicht vorgesehen ist.
Das unruhige Gefühl ist kein Alarm – es ist ein Hinweis
Im Coaching geht es häufig genau um dieses Gefühl. Es entsteht schnell der Eindruck, ständig nur reagieren zu müssen, immer leicht hinterher zu sein oder nicht genügend Qualität in Entscheidungen bringen zu können.
Doch statt dieses Gefühl als Störung zu interpretieren, lohnt es sich, es als Informationsquelle zu betrachten. Es zeigt, dass wir versuchen, in einer dynamischen Umgebung Stabilität durch Kontrolle oder durch „Verschieben auf später“ herzustellen. Der Versuch ist verständlich, aber er erzeugt zusätzlichen Druck.
Wenn wir anerkennen, dass die Unruhe der Normalfall ist, verändert sich der Blick. Dann geht es weniger darum, Ordnung herzustellen, sondern darum, tragfähige Routinen und Haltungen zu entwickeln, die auch im unruhigen Umfeld funktionieren.
Zusammenarbeit lässt sich nicht parken
Die Themen, die gerne verschoben werden, sind oft die, die am meisten entlasten würden: Klärung von Erwartungen, Umgang mit Konflikten, Absprachen zu Rollen oder die Frage, wie Entscheidungen getroffen werden.
Diese Gespräche sind selten dringend, aber sie sind dauerhaft relevant. Und je länger sie aufgeschoben werden, desto größer ist ihre unsichtbare Wirkung. Spannungen bleiben bestehen, Missverständnisse ziehen sich durch den Alltag und Teams arbeiten mit mehr Reibung als nötig.
Deshalb ist es so wichtig, diese Themen nicht auf eine fiktive ruhigere Phase zu verschieben, sondern sie in kleinen Schritten im laufenden Betrieb zu bearbeiten. Nicht perfektionistisch, sondern pragmatisch.
Eine andere Haltung zur Unruhe
Für mich bedeutet Coaching in diesem Kontext, Menschen dabei zu unterstützen, einen realistischen Umgang mit Dynamik zu finden. Es geht weniger darum, Komplexität zu reduzieren, sondern darum, sich darin zu orientieren. Die Frage ist nicht, wie wir die Unruhe loswerden, sondern wie wir uns so aufstellen, dass sie uns nicht ständig aus dem Gleichgewicht bringt.
Das beginnt mit einer einfachen, aber oft fehlenden Akzeptanz:
Es wird nicht ruhiger und es muss auch nicht ruhiger werden, damit gute Zusammenarbeit gelingt.
Erst wenn dieser Satz ankommt, entsteht der Raum, um sich nicht mehr gegen die Dynamik zu stemmen, sondern mit ihr zu arbeiten. Das beruhigt, ohne die Realität zu beschönigen.
Eine Einladung zu einem anderen Blick
Wenn Teams und Führungskräfte aufhören, auf den perfekten Zeitpunkt zu warten, entsteht eine neue Form von Handlungsfähigkeit. Kleine Klärungen zwischendurch sind oft wirkungsvoller als große Workshops, die nie stattfinden. Gespräche über Erwartungen lassen sich in zehn Minuten führen, statt sie monatelang vor sich herzuschieben. Und Spannungen verlieren an Schärfe, wenn sie nicht erst dann ausgesprochen werden, wenn der Druck zu hoch geworden ist.
Die Unruhe bleibt, aber sie verliert ihren bedrohlichen Charakter. Sie wird zu einem Teil der Landschaft, in der wir uns bewegen. Und genau dort beginnt eine professionelle Haltung: nicht im Warten auf Ruhe, sondern im Gestalten mitten in der Bewegung.