Urlaub, Verantwortung und die Frage nach Vertrauen

Es scheint auf den Blick eine einfache Frage zu sein:
Wenn jemand in den Urlaub geht: Wie viel Arbeit darf eigentlich liegenbleiben und wer übernimmt sie dann?

Was nach einer klar regelbaren Alltagssituation klingt, zeigt oft, wie komplex Verantwortung im Team und Vertrauen im Team wirklich sind: Erwartungen an Eigenverantwortung, das Verhältnis von individueller Leistung und kollektiver Entlastung, und nicht zuletzt – der Umgang mit gegenseitigem Vertrauen.

Einigung auf den ersten Blick

Der Einstieg war schnell gemacht. Auf die Frage, wie mit unerledigter Arbeit vor dem Urlaub umgegangen werden soll, lautete die einhellige Antwort:
Am besten bleibt nichts liegen. Alle sorgen rechtzeitig dafür, dass Aufgaben vor der Abwesenheit abgeschlossen sind.

Ein verständlicher Anspruch – und Ausdruck eines Teams, das Verantwortung ernstnimmt. Gleichzeitig war spürbar: Das ist das Ideal, nicht die Realität. Was, wenn Aufgaben kurzfristig dazukommen? Wenn der Kalender eng ist? Oder die Aufgabenfülle schlicht nicht mehr vor dem Urlaub zu bewältigen ist?

Auch hier war das Team pragmatisch: Wer frühzeitig erkennt, dass es eng wird, bittet um Unterstützung. Und wenn im Team niemand helfen kann? Dann wird gemeinsam nach einer individuellen Lösung gesucht.

So weit, so lösungsorientiert.

Ein Einwurf, der das Gespräch veränderte

In diesem Moment meldete sich ein Teammitglied zu Wort – ruhig, aber mit spürbarem Ernst:

„Ich würde natürlich nur dann um Hilfe bitten, wenn es wirklich nicht anders geht. Das ist einfach meine Haltung. Aber ich weiß ja nicht, ob alle im Team so denken. Es könnte ja auch sein, dass sich jemand auf dem Rücken des Teams ausruht und einfach weniger anstrengt, alles hinzubekommen.“

Die Aussage blieb stehen. Und veränderte den Raum.

Was auf den ersten Blick wie eine persönliche Reflexion wirkte, hatte eine zusätzliche Ebene: Der hohe Anspruch an das eigene Verhalten wurde implizit zum Vergleichsmaßstab – und verbunden mit einer hypothetischen Unterstellung gegenüber anderen.

Es war nichts Konkretes gemeint, niemand angesprochen. Und doch klang es mit: Ich bin verantwortungsbewusst – aber ich bin mir nicht sicher, ob sich alle im Team genauso verhalten.

Selbstbild und Fremdwahrnehmung

Solche Momente sind nicht ungewöhnlich. Gerade in Teams, die einen hohen Anspruch an Qualität und Zusammenarbeit haben, entsteht leicht eine Differenz zwischen dem, was ich selbst als selbstverständlich erlebe, und dem, was ich bei anderen nur vermuten kann.

Das Bedürfnis, fair behandelt zu werden, und die Sorge, dass sich jemand nicht im gleichen Maß einbringt, sind nachvollziehbar. Doch sobald dieses Spannungsfeld in Form einer hypothetischen Warnung ausgesprochen wird, verändert sich die Gesprächsgrundlage. Die Aussage wird anschlussfähig für Misstrauen – ohne dass es eine konkrete Situation gibt, auf die sie sich stützt.

Hier ist Moderation gefragt.

Klären, bevor es kippt

Wenn solche Aussagen ungeklärt im Raum stehen bleiben, entstehen leicht Missverständnisse. Einzelne fühlen sich vielleicht angesprochen oder beobachtet. Andere fragen sich, ob sie etwas verpasst haben. Oder es entsteht das Gefühl, dass man sich plötzlich rechtfertigen müsste – für ein Verhalten, das noch gar nicht stattgefunden hat.

In solchen Situationen ist es hilfreich, als Moderation kurz innezuhalten. Nicht, um Kritik zu üben, sondern um bewusst zu klären: Was wurde gesagt? Was gemeint? Und was wird möglicherweise mitgehört?

Ein möglicher Impuls könnte lauten:

„Ich höre da einen hohen Anspruch an dich selbst – und gleichzeitig eine Sorge, dass dieser Anspruch im Team unterschiedlich gelebt werden könnte. Lass uns kurz gemeinsam schauen, wie wir mit solchen Unterschieden umgehen wollen.“

So wird die Aussage nicht übergangen, aber auch nicht dramatisiert. Es entsteht Raum für Austausch und für die Erkenntnis, dass unterschiedliche Haltungen nicht automatisch zu Misstrauen führen müssen.

Vertrauen ist kein Zustand, sondern Ergebnis von Praxis

Der Workshop zeigte eindrücklich, dass Teamregeln allein nicht reichen. Entscheidend ist, wie wir über sie sprechen – und über das, was unausgesprochen mitschwingt. Die Regel „Vor dem Urlaub bleibt möglichst nichts liegen“ ist nur dann wirksam, wenn sie auf einem gemeinsamen Verständnis basiert. Darüber, was zumutbar ist, was Unterstützung bedeutet und wie mit Ausnahmen umgegangen wird.

Gleichzeitig braucht es ein Klima, in dem auch Zweifel angesprochen werden dürfen – ohne dass daraus sofort Vorwürfe oder Abgrenzungen entstehen. Und in dem die Frage erlaubt ist: Was glaube ich über andere, wenn ich ihre Motive nicht kenne?

Reflexionsfragen für Teams

Solche Gespräche lassen sich nicht vollständig regeln, aber sie lassen sich bewusst führen. Diese Fragen können helfen, eure Teamzusammenarbeit bewusster zu gestalten:

  • Wie verstehen wir Eigenverantwortung – und wo beginnt für uns gegenseitige Entlastung?

  • Was erwarten wir voneinander, wenn es eng wird?

  • Wie können wir Bedenken äußern, ohne anderen dabei etwas zu unterstellen?

  • Was bedeutet es für uns, im Team vertrauensvoll zusammenzuarbeiten – auch bei unterschiedlichen Arbeitsstilen?

Diese Fragen lassen sich nicht immer in einem Gespräch klären. Aber sie schaffen einen Rahmen, in dem Teams ihre Zusammenarbeit bewusster gestalten können. Und sie zeigen: Vertrauen ist nichts, das man einfach voraussetzt. Es entsteht im Gespräch, in der Auseinandersetzung, im gemeinsamen Klären von Erwartungen und in einer offenen Kommunikation im Team.

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