Journey Line – Teamreisen sichtbar machen
Wenn Teams gemeinsam durch Projekte, Sprintzyklen oder organisatorische Veränderungen gehen, hinterlässt das Spuren – in der Zusammenarbeit, in der Stimmung, im gegenseitigen Verständnis. Nicht alles davon ist sichtbar oder wird offen angesprochen. Die Methode Journey Line schafft eine Möglichkeit, gemeinsam zurückzublicken und Erfahrungen zu teilen, ohne sofort in Diskussion oder Bewertung zu geraten. Sie ist ein einfaches, aber wirkungsvolles Werkzeug, um Reflexion anzustoßen, Muster erkennbar zu machen und Raum für einen ehrlichen Austausch zu eröffnen.
Was ist eine Journey Line?
Die Journey Line ist eine visuelle Darstellung einer zurückliegenden Zeitspanne – aus der Perspektive des Teams oder einzelner Teammitglieder. Entlang einer Zeitachse (z. B. vom Projektstart bis heute) zeichnen die Beteiligten aus ihrer Sicht Höhen, Tiefen, Wendepunkte und prägende Ereignisse ein.
Dabei steht nicht die „objektive Wahrheit“ im Vordergrund, sondern das subjektive Erleben. Gerade dieser Perspektivwechsel – vom sachlichen Rückblick hin zum individuellen Empfinden – macht den Unterschied. Die Methode ist so angelegt, dass auch unausgesprochene Spannungen oder Unsicherheiten Raum bekommen können, ohne direkt verbalisiert werden zu müssen.
Ablauf – so funktioniert’s im Workshop
Einstieg und Zielklärung
Zum Start erläutert die Moderation Sinn und Ziel der Methode: einen Blick zurückzuwerfen und herauszufinden, wie die gemeinsame Reise verlaufen ist – für jede*n ganz persönlich.
Zeitachse vorbereiten
Auf einem Whiteboard, Flipchart oder digitalen Board wird eine horizontale Zeitlinie aufgetragen. Der Startpunkt kann ein definierter Moment (z. B. Projektbeginn, Teambildung) oder offen formuliert sein („Wie war euer Weg in den letzten Monaten?“).
Einzelarbeit: Kurven zeichnen
Jede*r zeichnet die eigene Linie entlang der Zeitachse. Hoch- und Tiefpunkte stehen dabei für positive oder herausfordernde Phasen. Zusätzlich können kurze Notizen ergänzt werden: Was war zu dem Zeitpunkt los, was hat mich beschäftigt?
Freiwilliges Teilen im Team
In der anschließenden Runde werden die Teilnehmenden eingeladen, ihre Linien zu zeigen und – wenn sie möchten – ausgewählte Aspekte zu schildern. Die Gruppe hört aktiv zu, ohne direkt zu kommentieren.
Gemeinsame Reflexion
Im nächsten Schritt richtet sich der Blick auf das Ganze:
Wo gab es ähnliche Verläufe?
Welche Unterschiede fallen auf?
Welche Ereignisse waren für mehrere prägend?
Gibt es überraschende Erkenntnisse?
Transfer in die Zukunft
Zum Abschluss unterstützt eine gezielte Frage dabei, das Erlebte nutzbar zu machen – zum Beispiel:
„Was möchten wir beibehalten?“
„Wovon wünschen wir uns mehr – oder weniger?“
„Was lernen wir aus dieser Rückschau für die nächste Etappe?“
Warum die Methode so wirksam ist
Die Journey Line entfaltet ihre Wirkung auf mehreren Ebenen. Sie ist nicht nur ein Rückblick-Tool, sondern ein Katalysator für Verbindung, Verständnis und Weiterentwicklung im Team.
Psychologische Sicherheit stärken
Wenn Teammitglieder ihre persönlichen Höhen und Tiefen teilen – und andere aufmerksam zuhören – entsteht ein Raum, in dem auch Verletzlichkeit erlaubt ist. Das zeigt: Ich darf hier ehrlich sein, ohne sofort bewertet zu werden. Solche Erfahrungen sind zentral, um psychologische Sicherheit aufzubauen.
Perspektiven sichtbar machen
Die Journey Line hilft dabei, zu erkennen: Nicht alle erleben den Verlauf gleich. Was für eine Person ein Höhepunkt war, war für eine andere vielleicht ein Tiefpunkt. Diese Unterschiedlichkeit auszuhalten – und als Ressource zu begreifen – ist ein wichtiger Schritt in der Teamentwicklung. Die Methode macht diese Unterschiede sichtbar, ohne sie gleich in Diskussion zu bringen.
Gemeinsames Lernen ermöglichen
Oft wiederholen sich bestimmte Muster im Team – Stress vor Releases, Kommunikationsprobleme in Übergangsphasen, Verunsicherung bei Führungswechseln. Die Journey Line bietet einen Spiegel: Was zieht sich durch? Was überrascht? Was lässt sich daraus ableiten? So wird aus dem Rückblick ein Ausgangspunkt für gezielte Entwicklungsschritte.
Emotionen und Dynamiken entkoppeln
Manchmal ist eine angespannte Stimmung im Team auf Ereignisse zurückzuführen, die nie richtig besprochen wurden. Die Methode erlaubt es, solche Themen sichtbar zu machen, ohne dass sie verbalisiert oder gelöst werden müssen. Allein das gemeinsame Anerkennen kann bereits entlastend wirken.
Wann die Journey Line besonders hilfreich ist
Die Methode eignet sich nicht nur für klassische Retrospektiven. Besonders wirksam ist sie in folgenden Situationen:
Projektabschluss oder Release-Review: Um gemeinsam zu reflektieren, wie die Zusammenarbeit lief – jenseits von KPIs und Planzahlen.
Teambuilding oder Re-Teaming: Wenn neue Mitglieder dazukommen oder sich Rollen verändern.
Konfliktprävention oder -bearbeitung: Um Spannungen aus der Vergangenheit sichtbar zu machen und in den Dialog zu kommen.
Begleitung von Veränderungsprozessen: Gerade bei Umstrukturierungen hilft die Methode, Betroffenheit in Beteiligung zu verwandeln.
Hinweise aus der Praxis
Nicht alle möchten oder können alles teilen – das ist in Ordnung. Die Einladung zur Offenheit ist da, aber sie ist freiwillig.
Es lohnt sich, genügend Zeit für die Erzählrunde einzuplanen. Oft entstehen hier die wichtigsten Erkenntnisse.
Die Journey Line ist kein Tool für schnelle Antworten, sondern eine Methode, die Raum schafft: für Geschichten, für Nachdenken, für Verbindung. Sie ist ein wertvoller Baustein, um Teams nicht nur in ihrer Leistung, sondern auch in ihrer gemeinsamen Entwicklung zu begleiten.
Wenn du das nächste Mal das Gefühl hast, „da steckt noch mehr im Team, als gerade sichtbar ist“, kann die Journey Line ein guter Einstieg sein.