Psychologische Sicherheit: Mehr als gute Stimmung
„Wir sind ein ziemlich offenes Team.“ Das war einer der ersten Sätze, die ich hörte, als ich das Kick-off mit einem neuen Team vorbereitete. Sie lachten viel in Meetings, sagten sich gegenseitig, wie sehr sie die Zusammenarbeit schätzen und auch im Check-in war die Stimmung locker. Aber zwischen den Zeilen schwang etwas anderes mit. Ein paar Sätze, die beiläufig fielen: „Wir wollen hier ja keinen Streit anfangen.“ oder „Ich halte mich da lieber raus.“
Solche Sätze sind keine Seltenheit. Sie klingen harmlos, fast sympathisch. Aber sie erzählen eine Geschichte. Eine Geschichte von Themen, die unausgesprochen bleiben. Von Konflikten, die unter der Oberfläche brodeln. Von Teams, die gelernt haben, dass es manchmal einfacher ist zu schweigen.
Der Workshop: Raum für das Unbequeme schaffen
Mein Auftrag: Einen Workshop gestalten, der die Zusammenarbeit stärkt. Ich plante, mit klassischen Formaten zu arbeiten: Reflexionen zu Teamwerten, klar kriegen, wie diese im Alltag gelebt werden und dann noch auf akute Prozessthemen schauen: Gibt es da etwas, was wir besprechen bzw. optimieren sollten?
Doch schon im Einstieg merkte ich: Das Team war da, aber nicht wirklich DA. Die ersten Antworten blieben an der Oberfläche. „Mehr Kommunikation wäre gut“, „Manchmal fehlt der Überblick“ – alles valide, aber nichts, das wirklich wehtat. Und grundsätzlich wurde gesagt: “Das sind jetzt alles keine Dramen”, “Das ist Jammern auf hohem Niveau” oder “So schlimm ist das aber nicht.”
Spontane Frage mit Wirkung
Mein Bauchgefühl sagte: Da ist was. Vielleicht ist es wirklich nicht schlimm, vielleicht ist es wirklich kein Drama. Aber es scheint etwas zu sein, das zumindest einmal auf der Metaebene besprochen werden sollte. Also lehnte ich mich zurück, schaute in die Runde und stellte eine Frage:
„Wann habt ihr euch das letzte Mal im Team so richtig sicher gefühlt – und warum?“
Es war still. Dann sprach eine Person leise: „Als ich einen Fehler gemacht habe und keiner etwas gesagt hat. Das hat mich einerseits erleichtert, andererseits aber auch verunsichert.“
Andere nickten. Jemand ergänzte: „Ich wusste nicht, wie ich in der Situation reagieren sollte, um einen sicheren Raum zu schaffen.“
Psychologische Sicherheit ist mehr als ein Buzzword
Ab da veränderte sich der Workshop. Wir sprachen nicht mehr über To-dos oder Prozesse. Wir sprachen darüber, wie sich das Team wirklich fühlte. Welche Momente sie erlebten, in denen sie Vertrauen spürten, und welche, in denen sie sich unsicher fühlten.
Wir erarbeiteten gemeinsam, was psychologische Sicherheit für dieses Team bedeutet:
Sagen dürfen, was man denkt, auch wenn es unbequem ist.
Unsicherheiten zeigen dürfen, ohne Angst vor Spott oder Konsequenzen.
Fragen stellen dürfen, ohne dafür belächelt zu werden.
Und wir stellten auch die schwierige Frage: „Was hindert uns daran?“
Kleine Schritte statt großer Lösungen
Am Ende des Workshops beschloss das Team drei einfache Dinge:
- Feedbackrunden einführen
- Einen „Fehler der Woche“-Slot im Weekly ausprobieren
- In Meetings bewusst darauf achten, dass jede Stimme gehört wird
Diese Maßnahmen sind keine Revolution. Sie sind erste kleine Schritte in der Operationalisierung der Workshop-Erkenntnisse. Die Erkenntnisse selbst aber, die wiegen viel mehr. Aussprechen zu können, dass Unsicherheit nicht nur bedeutet, einen Fehler zu machen, sondern auch unsicher darin zu sein, wie ein sicherer Raum geschaffen werden kann. Das war für das Team der größte Hebel.
Für Agile Coaches: Haltung schlägt Methode
Psychologische Sicherheit wächst nicht durch hübsche Flipcharts. Sie wächst in Momenten, in denen jemand den Mut hat, Gedanken auszusprechen und sich selbst damit angreifbar und verletzlich zu machen. Dann nämlich können wir Gespräche darüber führen, was wir wirklich voneinander brauchen.
Als Scrum Master*in, Agile Coach oder Führungskraft begleitest du Teams auf diesem Weg. Und es kann durchaus herausfordernd sein, den Raum zu halten, wenn es unbequem oder so richtig ehrlich wird. In unserem Praxisprogramm “Psychologische Sicherheit erkennen und fördern” lernst du, wie genau das geht.
In drei halbtägigen Modulen erarbeiten wir, was psychologische Sicherheit bedeutet und welche Möglichkeiten es gibt, sie aktiv zu fördern.
Mut beginnt im Kleinen
Psychologische Sicherheit entsteht nicht, weil wir darüber reden. Sie entsteht, weil wir Räume schaffen, in denen Teams anders handeln können. Und weil wir als Begleiter*innen bereit sind, auch unsere eigene Komfortzone zu verlassen.