„Wir brauchen keine Retros mehr!“ – Wenn Teams retro-müde werden
In vielen agilen Teams sind Retrospektiven ein festes Ritual. Regelmäßig trifft sich das Team, reflektiert über die Zusammenarbeit und sucht nach Verbesserungen. Doch irgendwann taucht sie auf: die Retro-Müdigkeit. Die Fragen werden lauter: „Bringt uns das überhaupt noch etwas?“ oder „Wir reden doch eh immer über dasselbe.“ Manchmal kommt sogar der Vorschlag, die Retro ganz abzuschaffen.
Was steckt hinter dieser Müdigkeit – und wie kann ein Team sinnvoll damit umgehen?
Routine macht müde – auch in Retros
Wenn eine Retro immer gleich abläuft, entsteht leicht der Eindruck: Wir drehen uns im Kreis. Die gleichen Fragen, die gleichen Antworten, keine greifbaren Veränderungen. Es fühlt sich an wie ein Ritual auf Autopilot. Die Folge: Engagement und Ehrlichkeit nehmen ab, die Retro verliert an Relevanz.
Ein Formatwechsel kann kurzfristig frischen Wind bringen. Aber oft reicht das nicht. Denn dahinter liegen tiefere Fragen:
Gibt es im Moment wirklich keine relevanten Themen?
Meiden wir bestimmte Themen – bewusst oder unbewusst?
Wie ehrlich sind wir eigentlich in unseren Gesprächen?
In solchen Fällen kann eine bewusste Retro-Pause hilfreich sein – nicht als Ausstieg, sondern als Reflexionsmoment:
Wofür machen wir Retros eigentlich? Und was würde passieren, wenn wir sie für sechs Wochen aussetzen?
Wenn die Retro nicht (mehr) das Richtige leistet
Ein häufiger Grund für Retro-Müdigkeit: Die Erwartungen stimmen nicht mehr mit dem tatsächlichen Nutzen überein.
Manche Teams erleben Retros als Problem-Sammelstelle, die vor allem neue Aufgaben produziert. Andere nutzen sie eher als Wohlfühlformat, bei dem wenig Konkretes entsteht. Beides kann dazu führen, dass die Retro ihren eigentlichen Wert verliert.
Der zentrale Zweck einer Retro ist nicht, Maßnahmen zu definieren. Sondern: gemeinsam innezuhalten, die eigene Zusammenarbeit zu reflektieren und zu lernen. Das kann manchmal ganz konkrete Verbesserungen bedeuten – aber manchmal auch einfach ein tieferes gemeinsames Verständnis.
Statt also zu fragen „Brauchen wir überhaupt noch Retros?“, könnte die bessere Frage sein:
„Was erwarten wir von einer guten Retro – gerade jetzt, in unserer aktuellen Teamphase?“
Neue Impulse für eine müde Retro
Nicht jedes Team braucht alle zwei Wochen eine klassische Retro. Gerade eingespielte Teams profitieren oft mehr von einer bewussten Anpassung in Richtung Qualität statt Taktung. Hier ein paar Ideen, wie Retros wieder wirksam werden können:
Strategische Retros: Einmal pro Quartal das große Bild in den Blick nehmen: Wo stehen wir als Team? Was hat sich langfristig verändert?
Thematische Retros: Fokussiert auf einzelne Aspekte – etwa Entscheidungsprozesse, psychologische Sicherheit oder unsere Art der Zusammenarbeit mit Stakeholdern.
Beobachtungs-Retros: Statt sofort Maßnahmen zu beschließen, ein Muster im Alltag beobachten, das in der nächsten Retro reflektiert wird. Ein Beispiel: „Wie oft unterbrechen wir uns gegenseitig in Meetings?“
Bewusste Pausen: Wenn wirklich nichts zu reflektieren scheint – warum nicht eine Retro aussetzen? Wichtig ist nur: Es muss eine bewusste Entscheidung sein, mit klarem Ziel und Zeitrahmen. Nicht einfach aus Bequemlichkeit.
Müdigkeit ist ein Signal, kein Scheitern
Retro-Müdigkeit bedeutet nicht, dass Retros „nicht funktionieren“ oder überflüssig sind. Sie zeigen vielmehr: Das Format passt gerade nicht zum Bedarf des Teams. Das ist ein natürlicher Punkt in jeder Teamdynamik – und eine Chance, Reflexion neu zu gestalten.
Ob das bedeutet, das Format zu wechseln, eine Pause einzulegen oder ganz neue Fragen zu stellen: Entscheidend ist, ehrlich hinzuschauen und sich nicht mit einem „Weiter so“ zufrieden zu geben.
Denn die Frage ist nicht ob Reflexion wichtig ist, sondern wie sie für das Team wieder relevant und wirksam wird. Vielleicht braucht es nicht weniger Reflexion – sondern eine neue Form dafür.