Tempo ist kein Teamwert

Es gibt Teams, die wirken auf den ersten Blick unglaublich produktiv: Alles läuft, alle sind beschäftigt und es herrscht allgemein geschäftiges Treiben. Entscheidungen werden schnell getroffen, To-dos zügig abgehakt, die Kommunikation ist direkt, manchmal sogar beeindruckend effizient. Und trotzdem spürt man irgendwann, dass etwas fehlt. Nicht sofort. Aber zwischen den klaren Abläufen, den sauberen Strukturen und dem vielen Tun entsteht mit der Zeit eine feine Leere – als würde das Team zwar rennen, aber nicht mehr wissen, warum.

Grafik mit der Aufschrift „Tempo ist kein Teamwert.“ und einer Person, die vor einer Gruppe steht und spricht. Symbolisch steht das Bild für bewusstes Arbeiten im eigenen Rhythmus statt Dauerlauf im Team.

Ich habe das in den letzten Jahren in verschiedenen Teams beobachtet – besonders dort, wo das Thema „Agilität“ stark betont wird. „Schneller Feedback“, „kurze Iterationen“, „fail fast“. Alles richtig, theoretisch. Aber in der Praxis kippt es manchmal. Dann wird aus dem Bedürfnis nach Anpassungsfähigkeit ein Dauerlauf. Aus Agilität wird Hektik, innerer Druck und ein dauerhafter Marathon im Sprint-Tempo.

Wenn alles Tempo ist, fehlt der Rhythmus

In einem Team, das ich begleitete, fiel mir auf, dass alle ständig in Bewegung waren. Es wurde viel entschieden, viel ausprobiert, ständig „nachgeschärft“. Und trotzdem blieb das Gefühl: Wir kommen nicht weiter. Als ich irgendwann fragte, wann das Team eigentlich innehält, um gemeinsam zu verstehen, warum es etwas tut, kam eine längere Pause. Dann sagte jemand: „Wir reflektieren eigentlich nur, wenn etwas nicht klappt. Und selbst dann reden wir eher darüber, wie wir’s das nächste Mal schneller hinkriegen.“

Das war ein ehrlicher Moment. Und einer, der zeigt, was in vielen Organisationen passiert: Tempo wird mit Fortschritt verwechselt. Aber schneller werden ist nicht automatisch gleichbedeutend mit besser werden. Anpassungsfähigkeit heißt nicht, alles ständig zu verändern, sondern das Richtige zur richtigen Zeit zu bewegen.

Tempo verdeckt oft das Unausgesprochene

Wenn Teams permanent unter Druck stehen, bleibt kaum Raum für Fragen, die über das Offensichtliche hinausgehen. Dann wird Kommunikation oberflächlicher, Entscheidungen reaktiver und Zusammenarbeit ganz unauffällig auch angespannter. Nicht, weil Menschen nicht wollen, sondern weil das System keine Pausen erlaubt.

Ich habe in einem Workshop einmal erlebt, wie ein Team fast erleichtert reagierte, als ich die Agenda unterbrach und sagte: „Lasst uns mal kurz anhalten und woanders hinschauen. Wie fühlt sich euer Alltag gerade an?“

Was folgte, war keine Beschwerde, sondern Stille. Und dann: „Ehrlich gesagt, ich merke kaum noch, ob ich gute Arbeit mache – nur, ob ich hinterherkomme.“ Das war der Moment, in dem klar wurde: Das Problem war nicht fehlende Effizienz, sondern fehlende Resonanz.

Reflexion ist kein Luxus

Viele Teams glauben, Reflexion sei ein „Nice-to-have“. Etwas, das man macht, wenn Zeit übrig ist. In Wahrheit ist sie die einzige Möglichkeit, dauerhaft klug und gesund zusammenzuarbeiten. Denn ohne Reflexion fehlt Orientierung. Dann reagiert ein Team nur noch auf das was kommt: auf Deadlines, Erwartungen, externe Impulse.

Langsamkeit ist in diesem Kontext kein Widerspruch zur Agilität, sondern ihre Bedingung. Denn wer ständig rennt, kann nicht lernen. Und Lernen ist das, worum es in agilen Systemen eigentlich geht.

Wie Teams wieder Rhythmus finden

Teams, die gelernt haben, Tempo bewusst zu gestalten, unterscheiden sich nicht durch ihre Geschwindigkeit, sondern durch ihre Klarheit. Sie haben verstanden, dass Arbeit Wellenbewegungen braucht: Phasen des Tuns und Phasen des Nachdenkens. Beides gehört zusammen.

Manchmal bedeutet das, ein Meeting mit fünf Minuten Stille zu beginnen, zu sagen: „Wir entscheiden das morgen, weil wir Raum zum Denken brauchen.“ oder einfach, zu akzeptieren, dass Pausen kein Zeichen von Schwäche sind, sondern von Reife.

Was ich daraus gelernt habe

Ich glaube nicht, dass Teams langsamer werden müssen. Aber ich glaube, dass sie bewusster werden dürfen. Denn Geschwindigkeit ohne Bewusstsein führt zu Erschöpfung, nicht zu Entwicklung. Tempo kann Energie geben, sie aber auch rauben. Der Unterschied liegt nicht in der Geschwindigkeit ansich, sondern in der inneren Haltung und der Bewusstheit des eigenen Tempos.
Vielleicht ist das die eigentliche Aufgabe moderner Zusammenarbeit: nicht schneller zu werden, sondern rhythmischer.

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Check-ins – warum der Anfang eines Meetings über den Verlauf entscheidet