Indirektes Feedback? Keine gute Idee
Ein Teammitglied wendet sich im Vorfeld der Retrospektive an mich. "Ich würde gern etwas ansprechen. Aber ich möchte nicht, dass klar wird, dass es von mir kommt."
Die Stimmung im Team ist angespannt. Aufgaben bleiben liegen, Zuständigkeiten sind unklar, die Zusammenarbeit stockt. Alle spüren es. Aber niemand spricht offen darüber.
Klingt erstmal nach einem Versuch, vorsichtig einen wichtigen Impuls einzubringen. Tatsächlich ist es aber ein Symptom für etwas Tieferliegendes: fehlendes Vertrauen.
Denn Feedback, das über Ecken gegeben wird, schafft keine Klarheit. Es schafft Verunsicherung. Es zieht eine dünne, kaum sichtbare Linie zwischen "uns" und "den anderen". Und genau diese Linie macht echte Teamarbeit schwer.
Wer ist gemeint?
Wer hat das gesagt?
Muss ich mich jetzt verteidigen?
Indirektes Feedback streut Misstrauen. Es zementiert Lagerdenken. Und es verhindert, dass echte Gespräche entstehen.
Warum indirektes Feedback keine Lösung ist
Indirektes Feedback sorgt selten für echte Veränderung. Es verschiebt Probleme, statt sie zu klären. Es verstärkt Spannungen, statt sie abzubauen. Und es bringt Teams weiter auseinander, statt sie zusammenzuführen.
Was oft gut gemeint ist („Ich will niemanden bloßstellen“), wirkt im Ergebnis vergiftend. Statt konstruktivem Austausch entsteht stille Unsicherheit.
Deshalb gilt: Weder Führungskräfte, noch Teammitglieder, noch agile Coaches oder Teamentwickler*innen sollten indirektes Feedback annehmen oder weitertragen.
Wenn jemand ein Anliegen hat, gehört dieses in ein direktes Gespräch. Mit der Person, die es betrifft. Offen, respektvoll, auf Augenhöhe.
Was können Moderator*innen konkret tun, wenn indirektes Feedback auftaucht?
Verständnis zeigen: "Ich verstehe, dass es sich schwierig anfühlt, das direkt anzusprechen."
Mut einladen: "Was wäre ein erster kleiner Schritt, um das selbst einzubringen?"
Angebot machen: "Möchtest du, dass ich dich dabei unterstütze, es im Raum zu halten?"
Rahmen schaffen: "Hier geht es nicht um Schuld, sondern darum, gemeinsam besser zu werden."
Und manchmal braucht es ein klares Stopp: "Ich kann dieses Feedback nicht für dich übernehmen. Es verdient, dass du es selbst aussprichst. Und ich helfe dir dabei, wenn du möchtest."
Wichtig: Nicht zum Sprachrohr werden. Nicht die Botschaft übernehmen. Sondern die betroffene Person stärken, ihren eigenen Weg ins Gespräch zu finden.
Mein Impuls für Teams:
Feedback soll dorthin, wo es hingehört: Direkt zu der Person, die es betrifft. Teams brauchen keine Botschafter*innen. Sie brauchen Gesprächspartner*innen. Und ja: Es braucht Mut. Es braucht vielleicht ein bisschen Zittern beim ersten Schritt. Es braucht Klarheit darüber, dass wir nicht perfekt sein müssen, um Feedback zu geben oder zu empfangen.
Aber ohne diesen Mut bleibt alles beim Alten. Wer echte Entwicklung will, braucht echte Gespräche. Direkt. Offen. Miteinander.
Wann hast du das letzte Mal ein Feedback direkt ausgesprochen, obwohl es dich Überwindung gekostet hat? Und wie hat es das Vertrauen im Team verändert?