Retros neu denken: Routinen können Teams ausbremsen
Alle zwei bis vier Wochen trifft man sich, schaut zurück, sammelt Zettel, redet über „gut“ und „schlecht“ und am Ende hängt eine Maßnahmenliste an der Wand. So weit, so gut. So haben wir’s gelernt. Das klingt ja auch sinnvoll, und doch passiert es erstaunlich oft, dass genau diese Treffen kaum etwas verändern.
Ich habe Teams erlebt, die in Retros brav ihre Runden drehten, immer dieselben Punkte aufschrieben und am Ende erleichtert waren, wenn alles „ganz okay“ war. Aber hinter diesem „okay“ blieb auch einiges unausgesprochen: Frust über Meetings, die Energie rauben, Konflikte, die niemand anspricht, oder die leise Ahnung, dass die eigentliche Frage längst nicht auf dem Tisch liegt.
Routine oder Reflexion?
Das Problem ist nicht die Retro an sich. Das Problem ist, dass sie zu einem Ritual ohne Wirkung werden kann. Sobald alle wissen, was kommt: Einstieg, Fragenrunde, Post-its, To-dos – entsteht Sicherheit. Doch diese Sicherheit kippt leider auch schnell in eine Oberflächlichkeit. Einige sprechen noch offen, andere bleiben stumm und am Ende wird das Meeting abgehakt. Eine Retro, die nur den Kalender füllt, verfehlt ihren Kern. Denn eigentlich geht es um etwas anderes: innehalten, verstehen, ehrlich werden und daraus lernen. Dabei sind Themen wie: “Wir überziehen immer unser Daily”, “Wir pflegen unser Board nicht richtig” oder “Sowieso haben wir viel zu viele Meetings” ganz nett anzugucken. Sie verfehlen aber den Kern, wenn sie oberflächlich betrachtet werden und die Retro nicht genutzt wird, um den Kern herauszuarbeiten.
Ein Moment aus der Praxis
Ich erinnere mich an eine Retro, die lief wie aus dem Lehrbuch. Alle hatten ihre Post-its beschrieben, die Spalten waren gefüllt und doch war da dieses Gefühl: Wir reden nur an der Oberfläche.
Also habe ich in der nächsten Runde offener gefragt:
„Wenn ihr gerade so richtig genervt mit jemandem an der Bar sitzen würdet und ihr würdet euch über die Arbeit auskotzen. Was wäre wohl das Thema?”
Es blieb erst still. Dann wurde durchaus geschmunzelt. Und dann ging’s tatsächlich los: “Mich nervt es so dermaßen, dass…”. Natürlich sollte es in einer Retro nicht darum gehen sich einfach mal auszukotzen und als Moderation muss man da schon aufpassen, wenn man den Raum aufmacht. Aber: Eine Retro verfehlt ihre Wirkung auch dann, wenn wir es nicht schaffen über die wirklichen tagtäglichen Aufreger und Energiefresser zu sprechen.
Die oben genannte Retro war nun wirklich keine nach Plan. Auch die Retro-Phasen waren nur noch bedingt erkennbar. Aber es war eine der ersten, die für dieses Team wirklich etwas in Bewegung brachte. Ganz ohne Ablaufplan.
Retros neu denken
Retros neu zu denken heißt nicht, jedes Mal ein spektakulär neues Format auszuprobieren. Es heißt, sich an den Kern zu erinnern: gemeinsam lernen, statt nur verwalten. Das kann heißen, die Stille auszuhalten, wenn niemand sofort reden will. Es kann heißen, Emotionen einzubeziehen, statt sie auszublenden. Oder es kann heißen, die üblichen Fragen beiseitezuschieben und einfach mal eine ganz neue zu stellen – eine, die nicht in die nächste Maßnahmenspalte passt, sondern etwas in Bewegung bringt.
Warum das Mut braucht
Viele Teams und auch viele Moderierende haben Angst davor, dass „nichts rauskommt“. Dass die Zeit ohne To-do-Liste verschwendet ist. Aber vielleicht ist das größte Ergebnis einer Retro gar nicht die Liste an Maßnahmen. Sondern das Gefühl, dass endlich einmal ausgesprochen werden durfte, was sonst unausgesprochen bleibt. Wenn das gelingt, wird aus einer Routine eine echte Reflexion und daraus kann doch Verhaltensänderung entstehen. Nichts anderes sind doch Teamvereinbarungen, Teamregeln oder gezielte Maßnahmen: Wir versuchen uns auf Verhalten und ggf. Verhaltensänderungen zu einigen. Manchmal kann man die eindeutig aufschreiben und manchmal müssen sie in den Beteiligten individuell wirken, Fuß fassen und vorhandene Muster überschreiben. Das ist möglich, wenn der Raum für diese echte individuelle und damit kollektiv wirkende Form des Lernens auch vorhanden ist.
Im Snackable-Workshop „Retros neu denken“ geht es genau darum: Routinen hinterfragen, neue Zugänge erleben und deine Rolle als Moderator*in reflektieren. Damit Retros eben nicht zum Pflichttermin werden, sondern zum Motor für ehrliche, mutige Gespräche.