„Wir machen doch Retros …“ – Warum das noch keine Feedbackkultur ist

Feedback gehört zum Alltag agiler Teams. In Retrospektiven, in Reviews, im Daily. Wir sprechen über das, was gut lief – und über das, was besser gehen könnte. Wir stellen Fragen, wir geben Rückmeldung, wir „reflektieren“. Und trotzdem bleibt oft das Gefühl: Da wäre noch mehr. Nicht, weil Feedback fehlt, sondern weil es an Tiefe verliert. Weil es sich wiederholt. Weil es höflich bleibt. Und weil es selten wirklich etwas verändert.

Zwischen Absicht und Wirkung

Viele Teams haben gelernt, Feedback zu geben – aber nicht, es wirksam zu machen. Es gibt Gesprächsregeln, Formate, Zeitfenster. Man bemüht sich um Formulierungen, um Augenhöhe, um „konstruktive Botschaften“. Und trotzdem entsteht wenig Bewegung. Denn Feedback ist nicht automatisch wirksam, nur weil es ausgesprochen wird. Entscheidend ist, ob es in Kontakt bringt. Ob es etwas öffnet – oder ob es Erwartungen, Bewertungen und Selbstschutz unter der Oberfläche belässt.

Ein Satz wie „Das war ein bisschen unklar“ kann alles bedeuten – oder nichts. „Da wäre mehr drin gewesen“ bleibt vage, wenn niemand fragt: Was genau? Für wen? Und warum?

Der Unterschied zwischen Feedbackformat und Feedbackkultur

Gerade in agilen Teams ist die Vorstellung weit verbreitet: „Wir machen ja Retros – also geben wir uns Feedback.“ Und ja, Retrospektiven sind wichtige Räume für Reflexion. Aber sie allein garantieren noch keine gelebte Feedbackkultur.

Denn Feedback ist mehr als ein fester Termin im Kalender. Es geht nicht nur darum, dass überhaupt etwas gesagt wird – sondern wie es gesagt wird, mit welcher Haltung, mit welcher Tiefe.

Frau hört nachdenklich in einem Gespräch zu. Text: „Feedbackkultur zeigt sich nicht im Format – sondern darin, wie ehrlich wir wirklich miteinander sind.“

Wenn Retros sich im sachlichen Rückblick erschöpfen, wenn Kritik vorsichtshalber verallgemeinert wird, wenn niemand wagt, konkret zu werden – dann bleibt Feedback auf der Strecke, obwohl das Format längst da ist. Eine echte Feedbackkultur zeigt sich nicht darin, dass ein Format existiert. Sondern darin, dass Menschen einander wirklich zuhören, sich etwas zutrauen – und bereit sind, sich gegenseitig in ihrer Entwicklung zu unterstützen.

Warum wir vorsichtig bleiben

Ehrliches Feedback macht sichtbar. Und das ist nicht immer bequem – weder für die gebende noch für die empfangende Seite.

Wer Feedback gibt, riskiert missverstanden zu werden, emotional zu wirken, kritisch rüberzukommen. Wer Feedback bekommt, spürt womöglich das Bedürfnis nach Verteidigung. Rechtfertigung. Rückzug.

Viele Teams entwickeln deshalb unbewusst eine Kultur der Rücksicht. Feedback wird möglichst weich verpackt, fast schon entschärft. Kritik wird angedeutet, um keine Beziehung zu gefährden. Und manchmal ist genau das der Punkt, an dem Entwicklung aufhört: wenn Klarheit mit Rücksicht verwechselt wird.

Was wir eigentlich brauchen

Wir brauchen nicht mehr Feedback. Sondern mehr echten Austausch. Und der beginnt mit der Bereitschaft, sich gegenseitig ernstzunehmen – nicht nur in der Rolle, sondern als Mensch. Das bedeutet: Feedback geben heißt nicht, die perfekte Rückmeldung zu formulieren. Es heißt: Ich habe etwas erlebt – und teile das mit dir, weil ich glaube, dass es für uns beide wichtig sein könnte. Und Feedback empfangen heißt: Ich höre zu, ohne sofort zu reagieren – weil ich neugierig bin, was ich vielleicht noch nicht sehe.

Dieser Perspektivwechsel macht Feedback nicht nur wirksamer. Er macht es ehrlicher. Und oft auch menschlicher.

Räume für echtes Feedback

Damit das gelingt, braucht es einen sicheren Rahmen. Nicht im Sinne von Schutz vor allem Schwierigen – sondern im Sinne von Orientierung:

Worüber wollen wir sprechen – und wozu? Was ist der Kontext? Was ist erlaubt? Was braucht Mut und darf trotzdem gesagt werden?

Feedbackkultur entsteht nicht durch Aufforderung. Sondern durch gelebte Erfahrung: Dass Feedback willkommen ist, auch wenn es unbequem ist. Dass Rückmeldung gehört wird, auch wenn sie nicht passt. Und dass niemand bloßgestellt wird, wenn er oder sie etwas offen anspricht. Diese Erfahrungen machen den Unterschied. Und sie entstehen nicht automatisch. Sie entstehen dort, wo jemand beginnt, es trotzdem zu sagen – obwohl es einfacher wäre, zu schweigen.

Entwicklung braucht Beziehung

Feedback ist kein Pflichtprogramm. Es ist eine Form von Beziehungsgestaltung. Und wie in jeder Beziehung ist entscheidend, ob wir bereit sind, uns zu zeigen – und dem anderen Raum zu geben, das auch zu tun. Wenn Teams das ernst nehmen, verändert sich etwas: Feedback wird nicht mehr als Bewertung erlebt. Sondern als Einladung, gemeinsam zu lernen. Nicht jede Rückmeldung trifft. Nicht jede Aussage ist stimmig. Aber jede ehrliche Rückmeldung ist eine Chance, mehr übereinander zu erfahren – und besser miteinander zu arbeiten.

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„Wir müssen reden …“ – Kommunikation in agilen Teams