Sag doch einfach, was du denkst – Warum Ehrlichkeit im Team oft ausbleibt
Offene Kommunikation gehört zu den Grundpfeilern agiler Zusammenarbeit. In vielen Teams steht sie auf Flipcharts, in Teamvereinbarungen, in Werte-Postern. Und doch bleibt sie im Alltag oft überraschend schwer greifbar. Nicht, weil Teams unehrlich wären. Nicht, weil sie Probleme unter den Teppich kehren wollen. Sondern weil Offenheit mehr ist als ein Prinzip. Sie ist eine Praxis. Und die fällt selten leicht.
Wenn alles gesagt werden darf – aber nicht gesagt wird
Viele Teams sind sich einig: Bei uns darf alles angesprochen werden. Und doch bleiben wichtige Dinge oft unausgesprochen. Die Gespräche drehen sich um sachliche Themen, bleiben höflich, konstruktiv – und gleichzeitig vage.
Kritik wird vorsichtig eingepackt. Irritationen werden angedeutet, aber nicht benannt. Rückmeldungen bewegen sich auf sicherem Terrain: Prozess, Struktur, „Kommunikationsbedarf“.
Was dabei auf der Strecke bleibt, sind konkrete Beobachtungen, ehrliche Empfindungen, Spannungen im Miteinander. Nicht, weil sie fehlen würden. Sondern weil es eine Hürde ist, sie zu benennen. Und diese Hürde wird selten bewusst angesprochen – sie bleibt Teil des Raums. So entsteht ein paradoxes Bild: Viel Austausch, wenig Tiefe. Viel Sprache, aber wenig Verbindung.
Warum wir uns zurückhalten
Ehrlichkeit klingt auf dem Papier selbstverständlich. Aber in der Praxis ist sie mit Risiko verbunden. Wer etwas ausspricht, das über das Offensichtliche hinausgeht, macht sich sichtbar. Und damit auch angreifbar.
Denn ehrliches Feedback ist keine Einbahnstraße. Es ruft Reaktionen hervor. Es kann Missverständnisse auslösen. Es kann Dynamiken verschieben.
Viele Menschen haben erlebt, dass offenes Feedback schnell persönlich genommen wird. Dass kritische Rückmeldungen abgewehrt werden. Oder dass Gespräche über Spannungen folgenlos bleiben. Solche Erfahrungen hinterlassen Spuren und führen dazu, dass man irgendwann lieber schweigt. Oder sich auf Formulierungen beschränkt, die sicher sind.
Diese Form der Zurückhaltung ist selten bewusst – sie entsteht leise. Und sie wird zur neuen Normalität, wenn niemand das verhindert.
Das Schweigen ist nicht leer – es ist gefüllt mit Vorsicht
Wenn Teams schweigen, heißt das nicht, dass es nichts zu sagen gäbe. Im Gegenteil. Oft liegt viel im Raum: Fragen, Zweifel, unausgesprochene Erwartungen. Aber es fehlt ein Rahmen, in dem diese Dinge einen Platz haben dürfen.
Und je länger sie nicht benannt werden, desto größer wird die Schwelle. Dann wird aus einem irritierten Moment ein unausgesprochener Ärger. Aus einem Missverständnis ein stiller Rückzug. Und aus dem Wunsch nach Klarheit eine vorsichtige Anpassung – an das, was gesagt werden kann, ohne zu viel Reibung zu erzeugen.
So entsteht eine Art Sprachregelung im Team. Man spricht in einer Tonlage, die niemanden verletzt, aber gleichzeitig niemanden wirklich erreicht.
Echte Offenheit ist unbequem – und genau deshalb wertvoll
Offenheit bringt Bewegung. Nur fühlt sich diese nicht immer gut an. Sie fordert heraus. Sie macht Unterschiede sichtbar. Sie konfrontiert mit Sichtweisen, die man vielleicht lieber ignorieren würde. Und genau darin liegt ihr Wert.
Denn gute Zusammenarbeit bedeutet nicht, dass alle einer Meinung sind. Sie bedeutet, dass Unterschiedlichkeit ausgehalten und genutzt wird. Dass nicht jeder Widerspruch als Störung gesehen wird, sondern als Möglichkeit, genauer hinzuschauen.
Offenheit heißt nicht: immer nett sein. Sie heißt: präsent bleiben, auch wenn es ruckelt. Und das gelingt nur, wenn es ein geteiltes Verständnis dafür gibt, dass Unangenehmes nicht gleich bedrohlich ist, sondern Teil eines lebendigen Miteinanders.
Was es dafür braucht
Psychologische Sicherheit ist die Grundlage. Sie entsteht jedoch nicht durch Absichtserklärungen. Sie entsteht durch Erfahrung. Immer wieder.
Wenn jemand etwas Unbequemes sagt und damit gehört wird. Wenn ein kritischer Punkt im Team nicht abgebügelt, sondern aufgenommen wird. Wenn jemand den Mut hat, einen ersten ehrlichen Satz zu sagen – und nicht dafür alleine gelassen wird.
Das sind keine großen Gesten. Es sind kleine, stille Korrekturen im Miteinander. Aber sie haben Wirkung.
Führung kann diese Räume mitgestalten, indem sie selbst Unsicherheiten zeigt. Indem sie Fragen stellt, statt nur Antworten zu geben. Und indem sie Signale sendet: Hier darf gesagt werden, was gesagt werden muss – auch wenn’s nicht ins Protokoll passt.
Und dann?
Vielleicht beginnt echte Offenheit nicht mit einem neuen Kommunikationsformat, sondern mit einem Moment der Stille. Ein Moment, in dem jemand sagt: „Ich glaube, wir sprechen gerade nicht über das, worum es eigentlich geht.“ Ein Moment, in dem nicht sofort geantwortet wird. Sondern zugehört. Ein Moment, in dem ein Satz stehen bleiben darf – ohne dass er direkt aufgelöst wird. Denn Klarheit entsteht nicht durch Kontrolle. Sondern durch Verbindung. Und die beginnt nicht bei der Methode, sondern bei der Bereitschaft, echt zu sein.