Als das Team plötzlich verschwunden war

Ich hatte alles vorbereitet. Ein halber Tag Workshop für ein Entwicklungsteam, das sich „mehr Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit“ wünschte. Wir hatten vorher gesprochen, die Führungskraft war mit im Boot, das Ziel war klar: Erwartungen klären, Verantwortlichkeiten besprechbar machen, Commitments stärken.

Der Raum war bereit, ich war es auch – nur das Team… kam nicht.

Zwei Kolleg*innen meldeten sich krank, drei andere waren in einem „dringenden Termin“, zwei schickten Mails mit dem Betreff „Kurzfristig nicht dabei“. Übrig blieb: die Teamleitung. Und eine gewisse Ratlosigkeit.

Was machst du als Coach, wenn der Workshop beginnt – aber das Team fehlt?

Kein Team, aber ein Thema
Mein erster Impuls: abbrechen. Neu planen. Aber dann schaute mich die Teamleiterin an und sagte: „Vielleicht ist das ja genau das Problem.“

Also sind wir geblieben. Zu zweit. Haben Flipcharts ignoriert und stattdessen gesprochen: über Absagen, Verantwortung, Erwartungen und über Frust.

Sie sagte: „Ich glaube, die meinen es nicht böse. Aber irgendwie fühlt sich das alles so unverbindlich an.“
Ich fragte: „Was wäre anders, wenn du das so ansprechen würdest?“
Sie sagte: „Ich glaube… ich habe mich daran gewöhnt, es zu schlucken.“

Und plötzlich ging es gar nicht so sehr um das Team, sondern viel mehr um die Führungsrolle. Um das stille Aushalten von Unverbindlichkeit, das auf Dauer zermürbt.

Eine Übung ohne Team – aber mit Wirkung
Wir sind dann doch an ein Flipchart gegangen. Haben aufgeschrieben:
– Was ist mein Anteil an dieser Situation?
– Was ist nicht mein Anteil, aber trotzdem mein Thema?
– Und was würde ich mir wünschen, offen aussprechen zu können?

Zitat: „Verbindlichkeit zeigt sich nicht im Kalender, sondern im Verhalten.“ Oben Text und Illustration, unten ein Team im Workshopraum.

Nach einer Weile wurde aus dem anfänglichen Frust etwas Klarheit. Sie sagte Sätze wie:
„Ich bin ständig die Pufferzone. Ich moderiere, erkläre, rechtfertige, aber erwarte kaum noch etwas zurück.“
Oder: „Ich will Verbindlichkeit, aber ich frage oft nicht mal konkret danach.“

Was die Führungskraft jetzt anders macht
Zwei Wochen später schrieb sie mir:
„Ich habe unser nächstes Teammeeting anders eröffnet. Habe nicht über Aufgaben gesprochen, sondern darüber, dass ich mir wünsche, dass wir verbindlicher miteinander umgehen. Ich habe nicht vorwurfsvoll gefragt, warum so viele beim Workshop gefehlt haben, sondern erklärt, was es mit mir gemacht hat und was ich mir stattdessen in der Zukunft wünsche.“

Sie hat angefangen, Erwartungen explizit zu formulieren. Nicht autoritär, sondern klar. Und sie hat das Thema Verbindlichkeit zu einem gemeinsamen Anliegen gemacht – nicht zu ihrer alleinigen Baustelle.

Im nächsten Workshop war das ganze Team da. Pünktlich. Und bereit, sich einzubringen.

Was ich mitgenommen habe

  • Abwesenheit ist Kommunikation. Manchmal lauter als jedes gesprochene Wort.

  • Workshops beginnen immer mit mit dem, was da ist. Oder was eben fehlt.

  • Als Coach darf ich präsent bleiben, auch wenn der „Plan“ sich in Luft auflöst. Denn oft entsteht genau dort der eigentliche Hebel für Veränderung.

Was das mit agilem Arbeiten zu tun hat
Agilität bedeutet nicht, dass alle immer verfügbar sind oder dass Meetings perfekt besucht werden. Aber sie lebt von Verbindlichkeit, von Transparenz und von Verantwortung.

Sie lebt davon, auf Veränderung zu reagieren, mehr als stur einem Plan zu folgen. Genau das steht im Agilen Manifest: „Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans.“

Wenn ein Team aussteigt, bevor es losgeht, dann ist das nicht nur ein logistisches Problem. Es ist ein Signal. Und es braucht Menschen, die dieses Signal nicht wegmoderieren, sondern ansprechen – auch wenn es unbequem ist.

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Agiles Prinzip: Früh und kontinuierlich ausliefern