Psychologische Sicherheit ist nicht für alle gleich erreichbar
Psychologische Sicherheit gilt als zentraler Faktor für gelingende Zusammenarbeit in Teams. In Kurzform gilt: Sie ermöglicht es Menschen, sich offen auszutauschen, Fehler einzugestehen, Fragen zu stellen oder Kritik zu äußern – ohne Angst vor negativen Konsequenzen.
In vielen Artikeln und Workshops wird das Thema als „Kulturthema“ behandelt: eine Frage von Vertrauen, Kommunikation, Feedbackkultur (auch hier). Das ist nicht falsch, aber leider unvollständig. Denn psychologische Sicherheit entsteht nicht im luftleeren Raum. Sie ist immer auch mitgeprägt von den gesellschaftlichen Erfahrungen, die Menschen in ihre Arbeitsumfelder mitbringen.
Kurz gesagt: Nicht alle haben dieselben Voraussetzungen, um sich sicher zu fühlen. Und genau das wird in vielen Teamentwicklungsprozessen zu wenig beachtet.
Was psychologische Sicherheit voraussetzt und warum das nicht für alle selbstverständlich ist
Im Kern geht es bei psychologischer Sicherheit um die Frage: Kann ich in diesem Team Ich sein – mit allem, was ich mitbringe?
Damit verbunden sind weitere Fragen:
Darf ich Fehler machen, ohne sofort an Kompetenz zu verlieren?
Kann ich Kritik äußern, ohne als schwierig zu gelten?
Wird meine Perspektive gehört, auch wenn sie unbequem ist?
Muss ich mich ständig beweisen, um dazuzugehören?
Menschen, die in ihrem Leben Erfahrungen mit Ausgrenzung, Abwertung oder Diskriminierung gemacht haben, antworten auf diese Fragen oft anders als diejenigen, die gesellschaftlich als „normale Mitte“ gelten – weiß, cis, hetero, nicht behindert, akademisch gebildet, wirtschaftlich abgesichert.
Denn psychologische Sicherheit baut auf Vertrauen. Und Vertrauen wiederum baut auf gemachten Erfahrungen. Wer gelernt hat, dass Offenheit Risiken birgt, wird sich nicht einfach „ermutigen“ lassen, sich mehr zu zeigen. Im Gegenteil: Für viele ist Zurückhaltung ein erlernter Selbstschutz – verständlich, klug und oft notwendig.
Psychologische Sicherheit ist nicht gleich verteilt
In vielen Teams gibt es die Annahme: „Bei uns kann man alles sagen.“ Oft ist das gut gemeint und oft blendet es die Unterschiede in der Wahrnehmung und Erfahrung aus. Denn ein Raum, der für manche sicher wirkt, kann für andere von subtilen Ausschlüssen, Normierungen oder Bewertungen geprägt sein.
Beispiele:
Eine Frau of Color wird regelmäßig übergangen, wenn sie etwas sagt – nicht bewusst, aber doch wiederholt.
Eine trans* Person vermeidet persönliche Beispiele, weil sie nicht weiß, wie ihr Gegenüber reagieren wird.
Ein Teammitglied aus einer bildungsfernen Familie hält sich in strategischen Diskussionen zurück – aus Angst, nicht „die richtige Sprache“ zu treffen.
Eine Person mit sichtbarer Behinderung wird oft nicht direkt angesprochen, sondern über Dritte.
Diese Erfahrungen mögen im Einzelfall klein erscheinen, doch in ihrer Häufung wirken sie. Sie beeinflussen, wie viel Sicherheit sich jemand zutraut, und damit auch, wie sehr sich jemand einbringt.
Die „unsichtbare Schieflage“ in vielen Teamprozessen
Wenn in Workshops gefragt wird, wie sicher sich Menschen fühlen, wird oft eine breite Zustimmung signalisiert. Viele sagen: „Ich fühle mich hier wohl.“ Doch diese Rückmeldungen stammen häufig von denjenigen, die ohnehin eher gehört werden, eher dazugehören, sich eher trauen.
Was leicht übersehen wird: Menschen, die keine Sicherheit empfinden, sprechen das oft nicht offen aus. Entweder, weil sie sich nicht sicher genug fühlen oder weil sie aus Erfahrung wissen, dass die Rückmeldung nicht ernst genommen wird. Das bedeutet nicht, dass alles in Ordnung ist, sondern, dass bestimmte Stimmen fehlen.
Was das für Teams und Begleitende bedeutet
Wenn Teams psychologische Sicherheit stärken wollen, reicht es nicht, Methoden anzuwenden oder auf Feedbackregeln zu achten. Es braucht ein tieferes Verständnis dafür, wer eigentlich gemeint ist, wenn von „Wir als Team“ gesprochen wird und wer möglicherweise nicht mitgemeint ist.
Ein paar konkrete Perspektiven:
Unterschiede anerkennen, statt sie unsichtbar zu machen.
Ein oft gut gemeinter Fehler besteht darin, Unterschiede zu ignorieren, um „alle gleich“ zu behandeln. Doch Gleichbehandlung bei ungleichen Voraussetzungen führt selten zu Gerechtigkeit. Psychologische Sicherheit entsteht nicht durch Uniformität, sondern durch bewusste Vielfalt.
Offene Räume nicht als automatisch sichere Räume verstehen.
Nur weil jede*r sprechen dürfte, heißt das noch nicht, dass jede*r sprechen kann. Offenheit ohne Haltung kann überfordern – insbesondere für Menschen, die schon oft erlebt haben, dass ihre Beiträge hinterfragt oder abgewertet wurden.
Reflexion über eigene Positionierung fördern.
Führungskräfte, Coaches und Moderator*innen sind nie neutral. Sie bringen eigene Prägungen, Werte und Privilegien mit und diese wirken. Wer sich mit der eigenen gesellschaftlichen Positionierung auseinandersetzt, kann besser verstehen, warum andere den gleichen Raum ganz anders erleben.
Verantwortung sichtbar übernehmen.
Es braucht Menschen im Team, die sich zuständig fühlen – nicht für andere, aber für den gemeinsamen Rahmen. Das bedeutet: benennen, wenn jemand unterbrochen wird. Widersprechen, wenn diskriminierende Sprache auftaucht. Zuhören, wenn Kritik geäußert wird – gerade dann, wenn sie unbequem ist.
Psychologische Sicherheit braucht gesellschaftliches Bewusstsein
Psychologische Sicherheit ist nicht der Zustand, in dem sich alle wohlfühlen. Sie ist der Prozess, in dem sich alle – mit ihren Unterschieden, Erfahrungen und Perspektiven – zeigen können, ohne Angst vor Ausschluss oder Abwertung. Das geht nicht ohne die Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Realität.
Wer psychologische Sicherheit in Teams stärken will, braucht Methoden, Sprache und Strukturen, aber vor allem braucht es Haltung. Und die Bereitschaft, sich mit den Themen auseinanderzusetzen, die gerne übersehen werden: Macht, Zugehörigkeit, Ungleichheit, Verletzlichkeit.
Denn nicht das, was gesagt wird, zeigt, ob ein Team sicher ist, sondern das, was nicht gesagt werden kann.
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