Keine Zeit für “weiche Themen”?

Ich weiß, wie absurd es klingt: Mitten im Stress, zwischen Deadlines und Personalmangel, soll jetzt auch noch ein Workshop stattfinden? Der Kalender platzt, die Zahlen drücken, und dann will jemand Zeit für Reflexion blocken. Nee, sorry: „Wir müssen liefern, nicht diskutieren.“

Das ist nachvollziehbar. Aber genau dieses Denken sorgt dafür, dass Konflikte schwelen, Entscheidungen stocken und Energie verpufft. Das, was gerne als „weiches Thema“ abgetan wird, ist in Wahrheit ein knallharter Effizienzfaktor.

Spiral Dynamics: Ein Modell mit Geschichte

Um das zu erklären, lohnt sich ein Blick auf Spiral Dynamics. Das Modell geht zurück auf den US-Psychologen Clare W. Graves, der in den 1950er-Jahren begann, menschliche Werte- und Denkmuster zu erforschen. Seine Schüler Don Beck und Chris Cowan machten daraus in den 1990er-Jahren ein eingängiges Modell, in dem sie die verschiedenen Logiken mit Farben kennzeichneten. Von Beige über Purpur, Rot, Blau und Orange bis hin zu Grün, Gelb und Türkis.

Gerade in Organisationen sind Blau, Rot und Orange die dominierenden Muster. Blau steht für Ordnung, Regeln und Stabilität. Rot für Macht, Tempo und Durchsetzung. Orange für Erfolg, Effizienz und Wettbewerb. Das hat Unternehmen groß gemacht, Projekte nach vorne gebracht und ist bis heute in vielen Kontexten unverzichtbar.

Aber genau diese Logiken erklären auch, warum Workshops, psychologische Sicherheit oder Konfliktklärung so oft als „Luxus“ gesehen werden. Aus einer blauen Perspektive heißt es: Wir haben Regeln und Prozesse, das reicht doch. In rot dominiert die Überzeugung, dass Reden nur Zeit kostet und man lieber sofort handelt. Orange wiederum fragt nach Effizienz und messbaren Ergebnissen und wenn die nicht sofort sichtbar sind, scheint sich der Aufwand nicht zu lohnen.

Grafik mit dem Text „Weiche Themen? Oft die wirksamsten Hebel für mehr Effizienz.“ und einer Karte mit der Frage „Wohin geht die Energie?“ auf einem Tisch.

Die paradoxe Wahrheit

Das Paradoxe ist: Genau diese drei Logiken profitieren am stärksten davon, wenn die sogenannten „weichen Themen“ ernst genommen werden. Regeln greifen nur dann wirklich, wenn Menschen sie mittragen, statt sie still zu umgehen. Macht kann nur wirksam sein, wenn Vertrauen im Spiel ist und Energie nicht in verdeckte Blockaden fließt. Und Effizienz entsteht nicht durch Schweigen und Zähne zusammenbeißen, sondern dadurch, dass Fehler, Spannungen und Ideen offen angesprochen werden, bevor sie so richtig teuer werden.

Von außen mag es so wirken, als sei ein Team ohne Konflikte schneller. Doch innen sieht es anders aus: Entscheidungen ziehen sich, weil niemand Klarheit hat, wer sie überhaupt treffen darf. Konflikte verschwinden nicht, sondern breiten sich unterschwellig aus und machen Meetings zäh. Kritik wird nicht laut ausgesprochen, sondern nur im Flur. Und die viel beschworene Effizienz von Orange wird ausgerechnet dadurch unterlaufen, dass Teams nicht das ganze Potenzial nutzen, das eigentlich da wäre.

Ein Modell, kein Dogma

An dieser Stelle ein wichtiger Hinweis: Spiral Dynamics ist kein wissenschaftlich robust abgesichertes Modell wie etwa die Big Five in der Psychologie. Graves’ ursprüngliche Forschung war qualitativ, nicht empirisch breit abgesichert. Beck und Cowan haben daraus eine populäre Typologie gemacht, die in der Wissenschaft durchaus kritisch gesehen wird (das ist übrigens mit den meisten Modellen so, die wir in Organisations- und Teamentwicklung nutzen - soll ich dazu bei Gelegenheit mal ausführlicher schreiben?).

Aber: Als Linse, um zu verstehen, warum Organisationen so reagieren, wie sie reagieren, kann es hilfreich sein. Wichtig ist nur, es nicht als Wahrheit, sondern als Deutungsrahmen zu nutzen.

Führung als Schlüssel

Und hier kommt die Rolle von Führung ins Spiel. Führung heißt in blauen, roten und orangen Kontexten oft: Sicherheit geben, Tempo halten, Ergebnisse liefern. Alles berechtigte Anliegen. Aber Führung, die Workshops und psychologische Sicherheit als „weiche Extras“ abtut, schneidet sich ins eigene Fleisch. Denn genau in den Momenten, in denen es scheinbar keine Zeit für Reflexion gibt, entscheidet sich, ob Teams wirklich liefern können oder ob sie im Inneren feststecken. Dabei fühlt sich die bisherige Arbeit und das bisherige Vorgehen effizienter an, weil wir ja gar nicht wissen können, was noch gehen würde, wenn wir den Mut hätten, es anders zu machen. Wenn wir uns trauen würden zu sagen: Wir nehmen uns die Zeit für die Dinge, von denen wir bisher dachten: Das ist Extra. Das ist Zeitverschwendung. Das ist nicht messbar, darum hat es keinen Wert. Wir sind es so gewohnt im Dauerfeuer unterwegs zu sein, dass es eben Normalität ist: Arbeit ist so. Arbeit muss so sein. So gehört das. Dabei verkennen wir, welches Potenzial wir verlieren, nur weil wir zwischenmenschliches und das sprechen darüber, “wie” wir arbeiten, als weiche Themen abtun, die nur unsere Zeit wegfressen.

Workshops und Teamreflexionen sind nicht das Sahnehäubchen, das man sich gönnt, wenn Zeit übrig ist. Sie sind der Rahmen, in dem sichtbar wird, wo die eigentliche Arbeit liegt und wie wir wirklich effizienter werden können.

Wer glaubt, dafür keine Zeit zu haben, macht die teuerste Fehlkalkulation: Nicht zu investieren ist keine Null-Lösung. Es ist der sicherste Weg, langfristig Fokus, Energie, Nerven und am Ende Geld zu verlieren.

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Weiche Themen, harte Wirkung

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Psychologische Sicherheit ist nicht für alle gleich erreichbar