„Dafür bin ich doch nicht zuständig!“ – Wenn Rollenerwartungen unausgesprochen bleiben
„Kann das nicht jemand anders machen?“, „Wieso ist das plötzlich meine Aufgabe?“ oder „Ach, darum kümmert sich doch immer …“
Diese Gedanken tauchen in Teams oft auf. Laut ausgesprochen werden sie selten. Stattdessen wirken sie im Hintergrund — wie leise Stimmen, die Zusammenarbeit steuern. Genau das macht sie so gefährlich.
Implizite Rollenerwartungen – leise, aber wirksam
Rollen entstehen nicht immer durch klare Absprachen. Oft wachsen sie aus Situationen: Jemand übernimmt eine Aufgabe „mal eben“, weil es gerade passt. Beim zweiten Mal wieder. Und plötzlich gilt: „Das macht er*sie doch immer.“
Beispiele? Die Kollegin, die immer das Protokoll schreibt. Der Kollege, der alle Onboardings übernimmt. Die Teamassistenz, die automatisch Geburtstagsrunden organisiert. Diese Rollenzuschreibungen stehen in keinem Organigramm und doch bestimmen sie, wie Verantwortung verteilt wird.
Was passiert, wenn niemand darüber spricht?
Unausgesprochene Rollenerwartungen wirken harmlos. Bis sie es nicht mehr sind:
Einzelne sind überlastet, weil sie „eh immer alles machen“.
Andere ziehen sich zurück, da sie glauben, es sei „nicht ihre Aufgabe“.
Aufgaben bleiben liegen, weil alle davon ausgehen: „Das macht bestimmt jemand anders.“
Das Ergebnis? Verantwortung wird nicht bewusst verteilt, sondern vorausgesetzt. Fairness und Orientierung bleiben auf der Strecke.
Mini-Übung für dich
Nimm dir fünf Minuten und notiere spontan drei Aufgaben, die du regelmäßig übernimmst, die aber nie offiziell in deine Verantwortungsbereich fielen. Was fällt dir auf? Welche davon möchtest du behalten, welche vielleicht loslassen?
Warum Erwartungen sichtbar machen so wichtig ist
Nur Teams, die über Rollen sprechen, können sie auch gestalten. Es geht nicht darum, starre Grenzen zu ziehen, sondern unbewusste Muster zu erkennen und daraufhin bewusst zu entscheiden: Wer übernimmt was und warum eigentlich?
Erste Schritte für mehr Klarheit
Muster erkennen: Wer greift im Meeting automatisch zu welchem Thema? Welche Aufgaben landen immer bei denselben Personen? Gibt es blinde Flecken?
Erwartungen aussprechen: „Ist das bewusst so geregelt oder einfach gewachsen?“ kann ein Türöffner sein.
Verantwortung sichtbar machen: Visualisierungen wie ein Delegation Board helfen, Rollen aus den Köpfen aufs Papier zu bringen.
Warum es sich lohnt
Über Rollen zu sprechen ist unbequem. Aber es macht Teams stärker, fairer und flexibler. Denn: Rollenklarheit schafft Orientierung – und psychologische Sicherheit. Sie erlaubt es Menschen, zu sagen: „Ich fühle mich überfordert“ oder „Ich wünsche mir Unterstützung“, ohne Angst vor negativer Bewertung.
Impuls für dich und dein Team
Frag dich:
Wo habe ich Aufgaben übernommen, die nie offiziell meine waren?
Wo erwarte ich, dass andere sich kümmern – ohne es je ausgesprochen zu haben?
Was wäre ein kleiner erster Schritt, das Thema im Team anzusprechen?
Weiterdenken
Der Praxisguide „Praxistools für psychologische Sicherheit“ bietet Workshop-Formate wie etwa zum Delegation Board, um Rollenerwartungen sichtbar zu machen und fair zu verteilen.