Kundenzufriedenheit durch frühe und kontinuierliche Auslieferung?

"Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung wertvoller Software zufrieden zu stellen."

Ein Prinzip, das auf den ersten Blick total einleuchtend klingt. Wer will das nicht? Zufriedene Kund*innen, schnelle Ergebnisse, kontinuierliche Weiterentwicklung. Und trotzdem: In der Praxis wirkt dieses Prinzip oft wie ein Anspruch, den man gern hätte, aber selten wirklich lebt.

Deshalb lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Was steckt wirklich hinter diesem Prinzip? Was hindert Teams daran, es mit Leben zu füllen? Und wie können wir einen ersten Schritt in die richtige Richtung gehen?

Früh und kontinuierlich – aber wie früh ist früh genug?

Viele Teams übersetzen das Prinzip spontan mit: „Wir müssen schneller liefern.“ Aber das greift zu kurz. Denn es geht nicht nur um Tempo. Es geht darum, den Fokus zu verlagern:

  • Weg vom Großprojekt-Denken hin zu kleinen, greifbaren Inkrementen.

  • Weg vom internen Fertigwerden hin zu echtem Feedback aus der Nutzung.

  • Weg vom Wunsch, es perfekt zu machen hin zur Bereitschaft, früh zu lernen und zu justieren.

Früh heißt: Bevor es sich "fertig" anfühlt. Kontinuierlich heißt: Nicht auf das nächste Quartal warten, sondern Lernen in den Alltag einbauen. Es geht darum, früh echte Signale vom Markt zu bekommen. Statt zu hoffen, dass das große Launch-Feuerwerk zündet.

Und das braucht Mut. Denn es bedeutet, Dinge zu zeigen, die noch nicht rund sind. Es bedeutet, sich Rückmeldung einzuholen, bevor man sich selbst sicher ist. Aber genau das ist der Punkt: Wir wollen nicht auf Sicherheit warten, sondern sie uns durch Feedback erarbeiten.

Was uns davon abhält? Jede Menge.

Ich erlebe in vielen Organisationen ganz ähnliche Muster, die das Prinzip ausbremsen:

  • Technik, die nicht mitspielt: Monolithische Systeme, bei denen schon ein kleines Update ein Großereignis ist. Continuous Delivery bleibt da schnell Theorie.

  • Freigabeprozesse, die eher Kontrolle als Vertrauen atmen: Jede Auslieferung muss durch drei Gremien, zwei Unterschriften und mindestens ein PowerPoint-Meeting.

  • Angst vor Fehlern: "Wenn wir zu früh rausgehen, fliegt uns das um die Ohren." Fehlerkultur ist oft auf dem Papier vorhanden – aber nicht im Alltag.

  • Erfolgsmessung ohne echten Kund*innenfokus: Velocity, Story Points, Auslastung – aber keiner fragt: Hat das jemand genutzt? War's hilfreich?

Diese Hürden sind real. Und sie lassen sich nicht einfach wegmoderieren. Aber sie dürfen sichtbar werden. Nur dann können Teams und Organisationen beginnen, daran zu arbeiten. Vielleicht nicht sofort mit Continuous Deployment – aber mit dem nächsten, mutigen Schritt in Richtung echtes Kund*innenfeedback.

Und was jetzt? Drei konkrete Ideen

  1. Mini statt Maxi: Was ist das kleinstmögliche Produkt, das echten Wert liefern kann? Nicht MVP im Buzzword-Sinn, sondern als Einladung, früh zu lernen. Ein erster Prototyp? Ein manuell bereitgestellter Service? Hauptsache: Feedbackfähig.

  2. Release-Rhythmus reflektieren: Wann habt ihr das letzte Mal etwas live gebracht? Was war dabei leicht, was hat gehakt? Was wäre ein gesunder Takt für euch? Und was bräuchte es dafür? Vielleicht nicht „jede Woche“, aber regelmäßig und bewusst.

  3. Kund*innen-Perspektive reinholen: Gibt es regelmäßige Feedbackschleifen mit echten Nutzer*innen? Wenn nein: Was wäre ein erster kleiner Hebel? Vielleicht ein kurzer Austausch mit Key-User*innen alle zwei Wochen? Oder ein offenes Review mit Stakeholder*innen?

Dieses Prinzip ist eine Haltung. Und wie jede Haltung braucht sie Raum, um sich zu entfalten – und Menschen, die bereit sind, Unschärfe auszuhalten, um Klarheit zu gewinnen.

Ein Prinzip mit Hebelwirkung

Wenn Teams beginnen, dieses Prinzip ernst zu nehmen, passiert etwas Spannendes: Gespräche ändern sich. Statt "Was fehlt noch fürs perfekte Produkt?" heißt es plötzlich: "Was wäre der nächste sinnvolle Schritt für unsere Nutzer*innen?"

Diese Verschiebung ist klein, bewirkt aber einen großen Unterschied. Sie verändert Prioritäten, Entscheidungsprozesse und die Art, wie Teams über Qualität denken. Frühe und kontinuierliche Auslieferung ist kein Selbstzweck. Sie ist ein Weg, um schneller zu lernen, mutiger zu experimentieren – und echten Wert zu liefern. Und genau darum geht's.

Und ja klar, kommt Continuous Delivery wieder einmal aus der Softwareentwicklung. Der Gedankensprung zu: “Was heißt ‘Liefern an die Kund*innen’ bei uns und wie gut geht das eigentlich?” sollte allerdings relativ klein sein.

Zurück
Zurück

05/2025: Agile Prinzipien vs. Arbeitsrealität

Weiter
Weiter

Nachhaltige Entwicklung statt Dauerfeuer