Innehalten statt reagieren

In jedem Moment liegt ein Raum zwischen dem, was passiert, und dem, wie wir reagieren. Dieser Raum ist klein, oft kaum spürbar, aber er ist entscheidend. Hier entsteht Selbstwirksamkeit. Hier liegt die Möglichkeit, nicht automatisch zu reagieren, sondern bewusst zu wählen.

Selbstreflexion beginnt genau dort: im Dazwischen. Und dieses Dazwischen ist selten bequem. Denn dort tauchen Fragen auf, für die wir keine schnellen Antworten haben. Dort begegnen uns Gefühle, die wir lieber ausblenden würden. Und genau deshalb ist es so kostbar.

Bei sich selbst ankommen – jenseits von Funktionieren

Unser Alltag ist durchgetaktet. Termine, E-Mails, Projekte. Wir sind oft im Außen unterwegs: reagieren, organisieren, leisten. Dabei verlieren wir leicht den Kontakt zu uns selbst und merken erst spät, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Selbstreflexion ist der Moment, in dem wir innerlich einen Schritt zur Seite treten. Nicht, um uns zu analysieren oder zu bewerten. Sondern um wieder bei uns anzukommen. Was bewegt mich gerade wirklich? Was fühle ich, ohne es sofort zu erklären? Was zeigt sich, wenn ich die Pause zulasse?

Diese Rückverbindung braucht Mut. Denn wer ehrlich hinschaut, trifft nicht nur auf Klarheit, sondern auch auf Unsicherheit. Aber genau darin liegt Entwicklung: Im Zulassen, im Spüren, im Aushalten.

Emotionen als Kompass – nicht als Störung

Gefühle sind oft die ersten Boten. Sie melden sich, bevor der Verstand Worte findet. Und doch sind wir es gewohnt, sie zu bewerten: „So darf ich nicht fühlen“, „Das ist unprofessionell“, „Ich muss stark sein“.

Dabei steckt in jeder Emotion eine Information. Wut kann auf eine Grenze hinweisen. Traurigkeit zeigt oft, dass uns etwas wichtig war. Angst macht deutlich, dass uns Sicherheit fehlt. Wenn wir lernen, diese Signale wahrzunehmen, statt sie wegzudrücken, entsteht ein innerer Dialog.

Selbstreflexion bedeutet dann: innehalten, die Emotion benennen, ihren Ursprung erforschen. Nicht, um sie loszuwerden – sondern um sie zu integrieren. Denn wer seine Gefühle kennt, kann sich selbst besser führen. Und dadurch auch anderen achtsamer begegnen.

Der Raum zwischen Reiz und Reaktion

Viktor Frankl hat es so formuliert: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“

Diesen Raum wahrzunehmen, ist eine Fähigkeit, die trainiert werden kann. Sie beginnt im Kleinen: Beim tiefen Atemzug, bevor wir antworten. Beim kurzen Innehalten, bevor wir entscheiden. Beim ehrlichen Spüren, bevor wir bewerten.

Im Coaching nennen wir das manchmal „Selbstkontakt“. In der Praxis bedeutet es: nicht sofort reagieren zu müssen. Erstmal da sein. Wahrnehmen, was ist, und dann wählen.

Das klingt leicht, ist aber eine tiefe Übung. Denn sie stellt unser Autopilot-Verhalten in Frage. Sie fordert uns auf, wach zu sein. Und sie lädt uns ein, uns selbst nicht auszuweichen.

Balance ist kein Zustand, sondern eine Haltung

Viele Menschen suchen nach innerer Balance, als wäre sie ein Ziel. Doch Balance ist nichts, was wir einmal erreichen und dann behalten. Sie ist ein dynamisches Geschehen. Ein ständiges Austarieren zwischen Innen und Außen, Nähe und Distanz, Aktion und Regeneration.

Selbstreflexion hilft, diese Bewegung bewusst zu gestalten. Sie macht erfahrbar, wo wir gerade stehen und was wir vielleicht übersehen haben. Manchmal zeigt sie, dass wir zu viel tragen. Oder zu wenig bei uns sind. Oder dass wir etwas Wichtiges verschoben haben, weil der Alltag lauter war.

Wer sich regelmäßig selbst begegnet, lernt, feiner zu justieren. Nicht als Kontrollinstrument, sondern aus Verbundenheit mit sich selbst. Aus dem Wunsch heraus, klar, wirksam und in guter Beziehung mit der eigenen Mitte zu bleiben.

Zum Schluss: Ein Moment für dich

Vielleicht ist jetzt ein guter Moment, einmal kurz innezuhalten. Nicht, um gleich etwas zu ändern. Sondern nur, um zu spüren: Wo stehe ich gerade? Was beschäftigt mich wirklich? Was bräuchte ich – gerade jetzt?

Selbstführung beginnt selten mit großen Entscheidungen. Meist beginnt sie mit einem kleinen Moment der Aufmerksamkeit. Für dich. Für das, was in dir lebendig ist, ohne es sofort ändern zu müssen.

Und vielleicht ist genau das der wichtigste Schritt: sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren. Trotz des Alltags.

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